Meinung

Westliche Politiker in China: Sie kommen arrogant an – und reisen ziemlich gerupft zurück

Ein bisschen wirkt es wie Zuckerbrot und Peitsche – das Auftreten führender westlicher Politiker in China. Überheblichkeit, Inkompetenz und Ignoranz des westlichen Führungspersonals dürften nicht gerade dazu beitragen, dass man in Peking mit Verständnis, geschweige denn Wohlwollen auf die Wünsche des Westens reagiert.
Westliche Politiker in China: Sie kommen arrogant an – und reisen ziemlich gerupft zurückQuelle: AFP © STR / AFP

Von Rüdiger Rauls

Westliche Politiker geben sich in Peking wieder die Klinke in die Hand. Dabei hatte man sich doch von China genauso unabhängig machen wollen wie von Russland. Aber weder Sanktionen noch Entkoppelung scheinen die gewünschten Erfolge zu bringen. Der politische Westen gerät nicht nur wirtschaftlich zunehmend ins Abseits.

Politische Wetterlagen

Zu Beginn des launischen Monats April hielt sich die US-Finanzministerin Janet Yellen vier Tage in China zu Wirtschaftsgesprächen auf. Wenige Tage später folgt ihr der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem dreitägigen Besuch. Auch der US-Außenminister Antony Blinken hat sich auf die Besucherliste setzen lassen und der deutsche Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck ist für Mitte Juni eingeplant. Bereits im April vorigen Jahres hielten sich der französische Präsident Emmanuel Macron und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Peking auf. Sehr viel Aufmerksamkeit für ein Land, dem man ablehnend gegenüber steht.

Denn nach den Äußerungen westlicher Politiker und Medien sind "die Chinesen" direkt nach "den Russen" das Volk, mit dem der politische Westen am wenigsten verbindet. Sie leben nicht nach seinen Werten, und schon gar nicht tanzen sie nach seiner Pfeife. Während aber Russen und Chinesen bei der Mehrheit der Staaten zunehmend an Einfluss gewinnen, sinkt im Gegensatz dazu die Beliebtheitskurve des Westens weltweit. Nun stellt sich die Frage: Liegt das immer nur an den andern oder hat das nicht auch etwas mit dem eigenen Verhalten zu tun?

Angesichts ihres teilweise anmaßenden Auftretens ist es kein Wunder, dass man ihnen die kalte Schulter zeigt. Janet Yellen kam nicht gerade als bescheidene Besucherin nach Peking, sondern stellte Forderungen und teilte Belehrungen aus. Sie warnte China davor, "Überkapazitäten bei der Industrieproduktion zu schaffen" und belehrte, "Kursänderungen auf chinesischer Seite seien nötig und angemessen". Sie trat gegenüber den Chinesen auf, als seien sie ihre Angestellten oder Befehlsempfänger der USA und nicht der größte Industrieproduzent der Welt.

Doch trotz allen selbstherrlichen Auftretens kann eines nicht übersehen werden: Sie alle, die Yellen, Scholz, Macron und von der Leyen, kommen als Bittsteller, auch wenn sie alles dafür tun, um diesen Eindruck nicht zu erwecken. Sie kommen in der Regel etwas vollmundig an und fahren ebenso regelmäßig ziemlich gerupft und zurechtgestutzt wieder zurück. Sie wollen es einfach noch nicht wahrhaben, dass sie nicht mehr die Herren der Welt sind, auch wenn sie glauben, weiterhin so auftreten zu können. Der Wind hat sich gedreht in der Welt. Es ist kein Westwind mehr, er weht von Osten her.

Freund und weniger Freund

Sie kommen nicht gerne nach Peking. Es handelt sich eher um eine moderne Reise nach Canossa – zur Buße sozusagen. Es fällt auch auf, dass die Vertreter des Westens öfter nach China wallfahren, als chinesische Führer die westlichen Hauptstädte besuchen. Es sind die westlichen Vertreter selbst, die um Termine bitten. Andererseits gibt man in Peking auch deutlich zu verstehen, wen man als Freund betrachtet und wen eher nicht.

Während der russische Außenminister Sergei Lawrow sogar vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping empfangen wird, was sonst nicht üblich ist, werden westliche Besucher auch schon einmal mit der zweiten Politiker-Garnitur abgespeist. Die EU-Kommissisonspräsidentin von der Leyen, die sich immer wieder gerne durch besondere Feindseligkeit gegenüber China hervortut, hatte bei ihrer Ankunft in Peking den normalen Besucherausgang am Flughafen nehmen müssen.

Aber sie selbst kommen auch nicht aus Freundschaft, sondern weil die vermeintlichen Herren Welt der Schuh drückt. Nicht nur brachte Janet Yellen eine lange Wunschliste mit, zusätzlich rief auch noch der US-Präsident Biden zur gleichen Zeit bei seinem chinesischen Kollegen an. Der Einsatz der US-amerikanischen Doppelspitze sollte dem Chinesen wohl klarmachen, wo insbesondere man auf einen Gesinnungswandel drängt: "Taiwan, die chinesische Unterstützung für Russlands Rüstungsindustrie sowie unfaire Handelspraktiken Pekings".

Das sind aber nicht die einzigen Probleme Washingtons, wo man von den Chinesen Kooperation erwartet. Da sind auch noch die "Gefahren im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz und der Kampf gegen den internationalen Drogenhandel mit Blick auf die Fentanyl-Krise in den Vereinigten Staaten sowie der Konflikt um das Videoportal TikTok". Das aber sind hausgemachte Probleme der USA. Dennoch scheint man wie selbstverständlich davon auszugehen, dass die Chinesen den USA aus ihren selbst verschuldeten Nöten helfen. Doch wieso sollte China das tun angesichts der feindseligen Haltung, mit denen die USA dem Land immer wieder gegenübertreten?

Die Liste der unfreundlichen Handlungen ist lang, und dementsprechend groß ist das Misstrauen bei den Chinesen. Es ist ihnen nicht entgangen, dass regelmäßig Verbesserungen des politischen Klimas, die bei Gesprächen mit Vertretern Washingtons erzielt worden waren, in der Folgezeit vor der heimischen Öffentlichkeit wieder infrage gestellt wurden. Auf US-amerikanischen Wunsch war zwischen Biden und Xi bei ihrem Treffen in San Francisco die Wiederaufnahme der Militärkommunikation zwischen den beiden Staaten vereinbart worden. Dann schossen die Amerikaner angebliche chinesische Spionageballons ab, und alles war wieder hin.

Den immer wieder geäußerten Beteuerungen der USA nach einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen beiden Staaten folgen umgehend erneute Belastungen. In Washington droht man unverhohlen mit Krieg, weil China angeblich Taiwan militärisch an die Volksrepublik anschließen will. Dabei ist es immer der Westen selbst, der von diesem Vorhaben spricht, während Peking darin nur die äußerste Maßnahme zum Schutz seiner nationalen Interessen sieht.

Darüber hinaus belasten die USA das Verhältnis durch neue, gegen Peking gerichtete Bündnisse wie AUKUS [zwischen Australien, Großbritannien und den USA] oder Quad [den Quadrilateral Security Dialogue zwischen den USA, Australien, Indien und Japan], für die sie auch ständig neue Verbündete anzuwerben versuchen. Um den Druck gegenüber China zu erhöhen, schüren sie Konflikte oder befeuern diese, wie im Territorialstreit zwischen Peking und den Philippinen um einige Inseln im Chinesischen Meer.

Obwohl die Freiheit der Meere im Südchinesischen Meer nie durch China eingeschränkt oder bedroht worden war, geben die USA seit einigen Jahren vor, diese Freiheit schützen zu müssen. Dabei sind die dortigen Seewege erst unsicherer geworden, seit die USA und zum Teil auch die NATO-Staaten glauben, durch Manöver und Militärkonvois die Freiheit der Meere garantieren zu müssen. Immer wieder kommt es dabei zu gefährlichen Konfrontationen mit der chinesischen Marine, die es nicht gab, solange die USA keine Passagen durch die Straße von Taiwan erzwingen wollten.

Made in China

All diese Handlungen und Verhaltensweisen gegenüber China tragen nicht zur Verbesserung der Beziehungen bei. Dabei ist doch gerade der Westen, hier besonders Europa und Deutschland, angesichts der verschlechterten Wirtschaftslage in den eigenen Gesellschaften auf ein gutes Verhältnis zu China angewiesen. Geht es nicht hinein die Köpfe vieler Entscheidungsträger und Meinungsmacher im Westen, dass man keine Gefälligkeiten von jenen erwarten kann, denen man ständig gegen das Schienbein tritt?

Wie stellen sich die US-Amerikaner, die von der Leyens und all die von missionarischer Inbrunst getriebenen Grünen eigentlich Politik vor? Die Zeiten sind vorbei, wo man mit Kanonenbooten vor der Küste auftauchen konnte, einige Städte oder Paläste in Schutt und Asche legte und dann den westlichen Konquistadoren die Häfen geöffnet wurden. Der Westen ist heute viel stärker auf China angewiesen denn je zuvor. Wenn sie es auch vielleicht selbst nicht sehen oder nicht erkennen und noch weniger wahrhaben wollen, so spricht ihre eigene Reisediplomatie eine eindeutige Sprache. Man braucht China, tut aber nach außen so, als ob das nicht der Fall wäre.

Denn während westliche Politiker den Chinesen die Türen einrennen, um Gehör zu finden bezüglich ihrer wirtschaftlichen Interessen, Wünsche und Nöte, erobern chinesische Produkte die westlichen Märkte. Auch wenn man versucht, diese Produktschwemme durch Zölle oder sonstige protektionistische Maßnahmen fernzuhalten, wird das wenig Erfolg haben. Und wenn es gelingt, wird es für den Westen teuer.

Die Kosten für die Produkte aus eigener Herstellung werden für die westlichen Verbraucher nur höher werden, die Umsätze und Erträge der westlichen Unternehmen aber dagegen nicht im gleichen Maße steigen. Chinesische "Solarmodule kosten nur noch halb so viel wie vor einem Jahr". Damit können westliche Unternehmen schon heute nicht mehr mithalten, und für chinesische Batterien, E-Fahrzeuge und Windturbinen gelten ähnliche Preisvorteile.

Hier aber gilt – wie so oft im Leben: des einen Freud, des anderen Leid. Die europäischen Hersteller schmerzt diese Entwicklung, aber die Importeure chinesischer Waren "freuen sich über günstige China-Importe". Das betrifft nicht nur den Endverbraucher. Auch die deutschen Unternehmen leben von den billigen Vorprodukten aus dem Land der Mitte.

Ob die deutsche Autoindustrie noch so gute Verkaufszahlen wird hinlegen können wie in vergangenen Zeiten, wenn sie statt der günstigen Chips aus Asien in Zukunft auf wesentlich teurere Schaltkreise "Made in Germany" zurückgreifen muss? Wenn die Preise von Vorprodukten steigen, dann steigen auch die Verkaufspreise für die Autos in Bereiche, die nicht mehr für jeden Kunden erschwinglich sind. Schon jetzt sinken die Verkaufszahlen deutscher E-Autos dramatisch, seit es keine staatlichen Zuschüsse beim Kauf mehr gibt.

Der Westen beklagt diese Produktschwemme und Preisvorteile als angeblich "unfaire Handelspolitik und nicht marktwirtschaftliche Praktiken Chinas". Ihnen sitzt die Sorge um die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Unternehmen im Nacken. Denn gerade in den Zukunftstechnologien wie Elektroantriebe, Photovoltaik und Windturbinen hatte sich die deutsche Klima-Industrie ein neues Standbein auf dem Weltmarkt schaffen wollen. Die Chinesen sind ihnen zuvorgekommen.

Aber es waren nicht sie, die die Globalisierung vorangetrieben haben. Westliche Unternehmen haben auf Investitionen in China gedrängt und die Verlagerung von Industrie und Arbeitsplätzen mit den Vorteilen der günstigen Produkte aus China abgewehrt. Daran ließ sich gut verdienen – zu Hause und auf dem riesigen chinesischen Markt. Das hat sich Peking vom Westen abgeschaut. Auf westliche Vorwürfe, dass China mit seinen Überschüssen die Märkte überschwemmt, reagiert die chinesische Zeitung China Daily nicht zu Unrecht mit der Feststellung, dass "die westlichen Nationen dies schon seit Jahrhunderten tun".

Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

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