Meinung

Das Format der G20 stirbt mit der alten Weltordnung

Wladimir Putin ist nicht zum Gipfeltreffen der "Großen Zwanzig" auf der indonesischen Insel Bali gereist. Es wäre reine Zeitverschwendung, denn die produktiven Kontakte finden abseits inszenierter Schauspiele statt. Jewgeni Satanowski mit einem Kommentar zum Ende des G20-Gipfels. Vielleicht gar des G20-Formats.
Das Format der G20 stirbt mit der alten WeltordnungQuelle: Gettyimages.ru © Hebestreit/Bundesregierung

Von Jewgeni Satanowski

Die G20 stirbt zusammen mit der alten Weltordnung – das Beerdigungsteam kann bestellt und Plätze im Leichenschauhaus und in der Leichenhalle können vorbestellt werden. Es war unrealistisch, sich auf eine Abschlusserklärung zu einigen: Die westlichen Länder wollten sie ausschließlich als Instrument zur Verurteilung Russlands nutzen, und es wäre äußerst merkwürdig gewesen, wenn alle anderen, angefangen bei Russland selbst, mitgemacht hätten. Geblieben ist nur eine wachsweiche Kompromissformel, in der man sich im Wesentlichen einig war, nicht einig zu sein. Und selbst dies ohne die russische Unterschrift.

Nein, natürlich hatte unsere Diplomatie im letzten Drittel des letzten Jahrhunderts wiederholt selbstmörderische Tendenzen. Außenminister wie Schewardnadse oder Kosyrew wären wahrscheinlich sehr glücklich gewesen, ihr eigenes Land zu verurteilen, und hätten sogar strategische und sehr materielle Vorteile darin gesehen. Doch Lawrow ist nicht Schewardnadse oder Kosyrew, er war nie ein Masochist.

Putin ist auch nicht Gorbatschow oder Jelzin, es ist nicht sein Weg, das Geburtsrecht gegen leere Versprechungen zu verkaufen, um die Linsensuppe aus der Ferne riechen und die "großen weißen Jungs" von der Straße aus durch das Fenster beim Essen beobachten zu dürfen. Und so entschied er, gar nicht erst nach Bali zu reisen, weil er zu Recht davon ausging, dass ihn dort das gleiche Schauspiel erwarten würde wie 2014 in Australien, als die westlichen Staatsoberhäupter vor den Kameras demonstrativ ihre Stirne runzelten. Dieses Mal haben sie zu unserem Glück schon im Voraus jedem, der es hören wollte, etwas aufgeregt durch die Vorfreude auf die bevorstehende Demonstration ihrer eigenen Großartigkeit angekündigt, was sie vorhaben. Vollidioten!

Im Ergebnis zuckte Putin, dem man alles Mögliche vorwerfen kann, nur nicht, dass er für arrogante und (mild formuliert) unkluge Idioten den Prügelknaben geben will, gelangweilt mit den Schultern und reiste nicht nach Indonesien, höflich auf einen vollen Terminkalender verweisend. Also gab es dieses Mal niemanden, dem man "Russlands Isolation" hätte vorführen können. Es wurde ein totaler Reinfall, denn Lawrow, mit dem die nicht-westlichen Mitglieder der G20 aktiv kommunizierten, war sichtlich weder ignoriert noch isoliert. Die sorgfältig vorbereiteten und inszenierten beleidigenden Gesten der westlichen Repräsentanten wirkten da nur absurd und unsinnig. Sie machten lediglich deutlich, dass die Welt sich endgültig gespalten hat in die sich künstlich aufplusternden ehemaligen Herrscher auf der einen und all die anderen, die normalen Menschen und Länder, auf der anderen Seite.

Warum also, so könnte man fragen, muss sich unser Staatschef mit Zeitgenossen treffen, die ihn für die Kameras "irgendwie ignorieren" werden, wenn er bereits zahlreiche Kontakte in bilateraler und multilateraler Form mit denen hat, die keine derartigen Spielchen spielen und sich konstruktiv verhalten? Sollten die Westler mal eine interessante Geschäftsidee haben, können sie in Moskau anrufen, sie werden durchgestellt. Nicht aber wenn es ihnen darum geht, Vorlesungen zu halten, zu predigen, zu belehren und Regeln zu diktieren. All das können sie ihrer Gummiente in der Badewanne erzählen, die billigen Gauner!

Und als wäre es nicht schon peinlich genug, werden sich die G20-Teilnehmer gegenseitig mit Corona infiziert haben. Am Ende bleiben nur noch fünf für das traditionelle Abschlussfoto übrig: der Gastgeber des Gipfels, der indonesische Präsident, sowie die Staats- und Regierungschefs Australiens, der Türkei, Südkoreas. Dazu, warum auch immer, der IOC-Präsident ... Alles in allem: symbolisch. Zum Teufel mit der G20! Die Welt hat sich bereits verändert, da kann man nichts dagegen tun.

Jewgeni Janowitsch SatanowskiJahrgang 1959, ist ein renommierter Wirtschaftsprofessor und Experte für den Nahen und Mittleren Osten am Moskauer Forschungsinstitut für Israel und den Nahen Osten. 1995 war er Gründungsmitglied des Kongresses der Juden in Russland, dessen Präsident er zeitweilig war. Publiziert über geopolitische, wirtschaftliche und militärische Themen und ist häufiger Gast in Talkshows des russischen Fernsehens. Wegen seiner pessimistischen Grundeinstellung zum Weltgeschehen bekam er den Spitznamen "Armageddonytsch". Seine Analysen und seine bissigen Kommentare kann man unter anderem auf seinem Telegram-Kanal lesen. 

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