Wirtschaft

Europas Atomenergieerzeugung ausbauen? Pustekuchen statt Yellow Cake!

Die osteuropäischen Länder suchen Möglichkeiten, Uran aus Russland abzusagen – und dabei Atomstrom auszubauen. Sie hoffen dabei auf den Branchenführer Kasachstan, bedenken aber nicht, dass die Welt bald Schlange stehen wird, um Kernbrennstoff zu kaufen.
Europas Atomenergieerzeugung ausbauen? Pustekuchen statt Yellow Cake!Quelle: Sputnik © Jewgeni Jepantschinzew

Von Natalia Dembinskaja 

Die Länder Osteuropas wollen dem russischen Uran für ihre Atomkraftwerke den Rücken kehren – und gleichzeitig den Anteil der Atomenergie an ihrem Strompaket ausbauen. Doch woanders bekommen sie ihre Brennstäbe einfach nicht her, und dazu sagt der Weltnuklearverband einen Nachfrageanstieg um ein Drittel bis zum Jahr 2030 voraus. Und das weltweite Produktionsaufkommen ist bereits auf Jahrzehnte bei dem einen oder anderen Betreiber unter Vertrag. Rechnung ohne den Wirt gemacht? Aber hallo!

Der Wille – hier als verkannte Notwendigkeit

Öl, Gas, Kohle und Aluminium aus Russland sind von den USA und der EU derzeit mit Sanktionen belegt, und Washington hat kürzlich sogar einen Zoll von 200 Prozent auf sie erhoben. Das Einzige, was bisher von der Sanktionswut des Westens umgangen wurde, ist Uran.

Doch der Wahnsinn macht vor nichts halt – und so versuchte im März eine Gruppe von US-Senatoren, einen Gesetzentwurf durchzusetzen, der die Einfuhr von Kernbrennstoffen aus Russland verbieten sollte. Die EU wollte dies in ein zehntes Sanktionspaket aufnehmen. Die Initiativen scheiterten jedoch, und zwar aus offensichtlichen Gründen.

Die Europäer und die US-Amerikaner kaufen bereitwillig wichtige Güter aus Moskau. Nicht zuletzt ist Russland ein wichtiger Uranlieferant für die USA und Europa; zu den Käufern gehören auch ehemalige Sowjetrepubliken.

Nach Angaben der Euratom Supply Agenсy machten die russischen Importe 20 Prozent des Kernbrennstoffverbrauchs der EU im Jahr 2021 aus, was einem Wert von 210 Millionen Euro entspricht. Die USA importierten ebenfalls reichlich – 550 Tonnen im Wert von 645 Millionen US-Dollar –, das war ein Viertel der gesamten Lieferungen dorthin.

Das Herumgezicke der Ehemaligen

Nun will ganz Europa, einschließlich der ehemaligen Mitgliedsländer des Warschauer Paktes, im Rahmen einer Strategie zur Verringerung der so verstandenen Energieabhängigkeit von Russland auf russisches Uran verzichten.

Wie Bloomberg berichtet, suchen die Betreiber der dortigen Kernkraftwerke nach neuen Lieferpartnern für Verträge, die ab dem Jahr 2025 unterzeichnet werden sollen. Sie hoffen dabei auf Kasachstan, das mehr als 40 Prozent des weltweiten Urans fördert. Die Agentur zitierte Jerschan Mukanow, den Hauptgeschäftsleiter des staatlichen kasachischen Uranunternehmens Kazatomprom:

"Geopolitische Unsicherheiten verändern den Fluss von Kernbrennstoffen und bewegen zum Aufstocken der Reserven. Wir werden in der Lage sein, auf die Marktnachfrage zu reagieren."

Die US-Amerikaner sind auf geradezu rührende Weise um die "Energieunabhängigkeit" Europas besorgt. Sie haben Warschau sogar vier Milliarden US-Dollar für den Bau kleiner Atomreaktoren versprochen. Der US-Botschafter in Warschau Mark Brzezinski betonte:

"Heute haben wir einen wichtigen Schritt für die Zukunft Polens getan. Energie wird in den nächsten hundert Jahren ein wichtiger Bestandteil der polnisch-US-amerikanischen Zusammenarbeit sein."

Übertriebene Selbstsicherheit bis hin zur Überheblichkeit

Allerdings würde der transozeanische Verbündete Polen mit Kernbrennstoff definitiv nicht helfen: In den USA selbst ist die Lage der Atomindustrie schlecht. Vor zehn Jahren produzierten sie etwa 2.000 Tonnen Uranoxid jährlich – und jetzt sind es nur noch 100.

Die Probleme begannen nach dem Unfall von Three Mile Island im Jahr 1979. Seitdem hängt die Anreicherung von ausländischen Partnern ab.

Daher nehmen die USA trotz aller Sanktionen gern russischen Brennstoff auf. So wurde allein im Oktober letzten Jahres Uran für 185 Millionen US-Dollar importiert – so viel wie seit 2016 nicht mehr.

Was die EU betrifft, so hängt viel von der Technologie ab – vor allem, wenn es um die Osteuropäer geht. Wladimir Kowaljow, Analyst bei TeleTrade, breitet aus:

"In Europa gibt es 18 Kernkraftwerke mit russischen WWER-Reaktoren. Der Umstieg von Brennstäben eines Herstellers auf die eines anderen ist sehr schwierig, zeitaufwändig und äußerst kostspielig. Finnland und die Ukraine haben versucht, auf US-amerikanische Brennstäbe umzusteigen. Klappte nicht. Auch Ungarn und die Slowakei haben es aufgegeben. Obwohl die Tschechische Republik und Bulgarien ihre Uraneinfuhren aus Russland etwas reduziert haben, ist es schwierig, sie in Europa vollständig zu ersetzen."

Pawel Sigal, erster Vizepräsident von Opora Rossii, einem russischen Klein- und Mittelstandsunternehmenverband, hält fest:

"Dies ist ein Bereich, in dem Technologie und Infrastruktur eine sehr große Rolle spielen – und Russland hat beides seit Jahrzehnten auf- und ausgebaut."

Das finnische staatliche Energieunternehmen Fortum Oyj, das 90 Kilometer von Helsinki entfernt zwei noch in der Sowjetzeit gebaute WWER-Reaktoren betreibt, schloss in den 1990er Jahren einen Vertrag mit der British Nuclear Fuel Ltd., die heute zu Westinghouse Electric Co. gehört. Und am Ende? Am Ende mussten die Brennstäbe dann doch wieder von Rosatom gekauft werden.

Viele Kaufwillige

Kasachstan scheint ja zunächst als alternativer Lieferant eine gute Wahl zu sein: Immerhin entfallen 25 Prozent der weltweiten Exporte auf diese ehemalige Sowjetrepublik. Allerdings sind Astanas Kapazitäten für einen Ausbau der Ausfuhr höchst fraglich. Und nach Prognosen des Weltnuklearverbandes wird die Nachfrage nach Uran bis zum Jahr 2030 um ein Drittel steigen.

Die Bemühungen um kleineren CO₂-Ausstoß haben das Vereinigte Königreich, Frankreich und die USA dazu gezwungen, die Kernenergie neu zu überdenken. Der Bau neuer Reaktoren wird dort in Angriff genommen. Doch der wichtigste Punkt ist die Schaffung einer stabilen Brennstoffversorgungskette – und hier sind die Aussichten düster. Leonid Chasanow, ein unabhängiger Branchenexperte, erklärt:

"Es gibt einfach kein überschüssiges Uran auf dem Weltmarkt, und überhaupt ist es damit nicht wie mit Aluminium oder Kupfer: Man kann damit nicht einfach so handeln – sondern es sind extrem strenge Anforderungen bei der Lieferung zu erfüllen. In dieser Branche werden nur langfristige Verträge abgeschlossen. Hinzu kommt, dass die Wiederinbetriebnahme des Kernkraftwerks in Japan und die Inbetriebnahme neuer Anlagen in China in den Startlöchern stehen. Auch dort wird Uran benötigt werden, was bedeutet, dass die Preise erheblich steigen werden."

Und es gibt noch mehr Feinheiten zu beachten, so Chasanow weiter:

"Erstens besitzt Rosatom sechs Minen gemeinsam mit der kasachischen Kazatomprom – und somit könnte sehr schnell die Frage der 'politischen Reinheit' des Urans aufgeworfen werden. Zweitens müssen dafür noch unerschlossene Vorkommen erst für die Förderung vorbereitet werden, was sowohl Zeit als auch Geld kostet."

Eine Möglichkeit wäre ja, dass die osteuropäischen Kernkraftwerke einfach Yellowcake (ein Zwischenprodukt der Uranerzaufbereitung) kaufen. Allerdings müsste man sich dann mit der Anreicherung befassen – und das sind gänzlich neue Dimensionen von Kopfzerbrechen.

Russland wird Absatzmärkte finden

Eine Abkehr Osteuropas vom russischen Uran, sofern sie geschieht, könnte bis zu zehn Jahre dauern. In dieser Zeit würde Rosatom den Bau von Kernkraftwerken in einer Reihe von befreundeten Ländern abschließen und damit die Exporte und Einnahmen sicherstellen. Für Russland wäre es nicht schwierig, auf andere Märkte auszuweichen – genau so, wie es das zuvor mit dem Öl getan hat, macht Wladimir Kowaljow aufmerksam:

"China wird in ein paar Jahren 18 Reaktoren in Betrieb nehmen. In der Türkei und Bangladesch sind Kernkraftwerke im Bau. Die bereits bestehenden Kapazitäten in Asien werden ermöglichen ihrerseits, die Stromproduktion zu erhöhen, wofür ebenfalls zusätzliche Brennstäbe benötigt werden. Russland wird die Lieferungen dorthin umlenken."

In Europa droht jedoch aufgrund von Selbstüberschätzung die Fortsetzung desselben, wovon es auch heute bereits geplagt wird: einer wachsenden Energiekrise. Kernbrennstoff ist anders beschaffen als Erdgas oder Kohle und erfordert präzise konstruierte Anlagen, die den Genehmigungsanforderungen aller möglichen Sicherheitsbehörden entsprechen.

Ein Bruch mit Russland würde die Stromversorgung von fast 100 Millionen Menschen bedrohen – vor allem in Ländern, die auf die Kernkraft als primäre Quelle für saubere Energie angewiesen sind.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA.

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