Meinung

SPD: Ist Sigmar Gabriel der letzte Hoffnungsträger?

Die SPD verliert eine Wahl nach der anderen und liegt in den Umfragen bei 15 Prozent. Sie ist für die meisten der Fehlentwicklungen im Land mitverantwortlich. Eine Fraktionstagung zeigte nun immerhin Ansätze für einen Ausweg aus dieser Lage.
SPD: Ist Sigmar Gabriel der letzte Hoffnungsträger?Quelle: AFP © Thomas Kienzle

von Andreas Richter

"Mehr Schein als Sein" – dieser Spruch ist faktisch zum Motto der "Berliner Republik" geworden. Hinter wohlklingenden Titeln und Plänen verbirgt sich in der Regel das Gegenteil oder auch einmal das blanke Nichts. Vor den Toren der Hauptstadt steht als Sinnbild dieser Republik die Flughafenruine BER, und immerhin dafür eignet sie sich prächtig.

Eine der die Berliner Republik tragenden Parteien war von Beginn an die SPD. Bei den Wahlen in den vergangenen Jahren und Monaten hat sie sich die Belohnung für ihr Wirken abholen dürfen, aktuelle Umfragen sehen die Partei eher unter 15 Prozent als darüber.

In dieser Situation fand am Mittwoch dieser Woche in Osnabrück eine Klausurtagung der zwei einflussreichen Landesgruppen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen/Bremen der SPD-Bundestagsfraktion statt, und die Welt weiß darüber Erstaunliches zu berichten. Folgt man ihrem Bericht, dann ist die SPD dabei, Kontakt zur Wirklichkeit aufzunehmen. 

Ein für die Tagung erstelltes Positionspapier enthielt noch das Erwartbare, gleiches gilt für die Ausführungen der Parteivorsitzenden Andrea Nahles. In der Debatte gab dann aber der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius mit einer interessanten Aussage die Richtung für einen möglichen Ausweg vor:

Wir dürfen Probleme nicht ignorieren und tabuisieren, weil sie uns nicht passen.

An diese Vorgabe hielten sich wenigstens einige Teilnehmer. Als der als Parteichef und Kanzlerkandidat grandios gescheiterte Martin Schulz mit dem üblichen Vokabular für das "Friedensprojekt Europa" warb und die anstehende Europawahl zur "Schicksalswahl im Kampf gegen Rechtspopulisten" hochstilisierte, trat ihm der Abgeordnete René Röspel mit einer Schilderung der Zustände in seinem Wahlkreis Hagen entgegen.

Ein rumänischer Bürgermeister wolle dorthin zu Besuch kommen, weil inzwischen die Hälfte seiner Einwohner in Hagen lebe, was dort zu sozialen Problemen führe. Viele Deutsche empfänden diese Seite der EU als Belastung, so Röspel, und weiter:

Am Boden wird gewählt und nicht auf 1.000 Metern.

Auch der frühere Parteichef Sigmar Gabriel bemühte sich um Bodenhaftung. Als der Umweltpolitiker und Fraktionsvize Matthias Miersch Klimaziele für nicht verhandelbar erklärte, meldete sich der frühere Außenminister und erklärte, einer Partei mit "noch 13, 14 Prozent" Zustimmung rate er zur Frage, "wer uns eigentlich noch wählen soll".

Gabriel führte aus, wie die Wähler wegen der Agenda 2010 und in der Finanzkrise das Vertrauen verloren hätten, dass die Partei an ihrer Seite stehe, und wie die SPD nun in der Umweltpolitik drohe, die alten Fehler zu wiederholen. Ein VW-Arbeiter habe ihm gesagt, dass sich die "Sozis" mit dem Abschied vom Verbrennungsmotor wieder "auf die falsche Seite der Geschichte" stellten.

Gabriel skizziert hier im Grunde den einzigen Ausweg für die SPD: alles, aber auch wirklich alles aus der Perspektive der kleinen Leute sehen, bedenken, welche Konsequenzen Entscheidungen für diese haben, und das eigene Programm danach ausrichten. Das heißt auch, vergangene und künftige Entscheidungen radikal auf den Prüfstand zu stellen.

Das sind die erwähnte Agenda 2010 mit den Hartz-Gesetzen, die die Lebensleistung vieler Menschen entwertet haben. Das sind die Privatisierung der Altersvorsorge, des Wohnens und des Gesundheitssystems. Eine Energiewende, die der Umwelt nicht hilft und von den kleinen Leuten bezahlt werden muss, immer neue Wärmeschutzverordnungen, die nur noch den Herstellern von Dämmmaterial und den Handwerkern nützt, die sie verkleben dürfen.

Da ist die EU, die diese gegen die Menschen gerichtete Politik noch befördert und außer Pathos wenig bietet. Da ist die Migrationspolitik, die unter der Maske der Humanität dafür sorgt, den Druck auf dem Kessel des Niedriglohnsektors aufrechtzuerhalten.

Da ist die verfehlte Verkehrspolitik, die die Infrastruktur verfallen lässt, Dieselfahrer bestraft, Elektromobilität absurderweise zur Zukunftstechnologie erklärt, nichts dagegen unternimmt, dass Autos immer größer, schwerer und stärker werden, und nicht für einen funktionieren öffentlichen Nah- und Fernverkehr sorgt.

Da ist natürlich auch die Außenpolitik, deren fatale Fehler am Ende auch die kleinen Leute bezahlen. Selbst ein Heiko Maas könnte merken, dass dieses Land keine weitere NATO-Blockpartei benötigt. Da sind die Gender- und Political-Correctness-Themen, die an der Lebenswirklichkeit der allermeisten Menschen schlicht vorbeigehen und die die SPD deshalb getrost den Grünen überlassen könnte.

Wenn die SPD ihr Programm in all diesen Themenfeldern konsequent auf die Interessen der kleinen Leute ausrichten würde, könnte sie das 15-Prozent-Ghetto schnell verlassen und wahrscheinlich sehr bald in eine Position gelangen, die ihr eine Umsetzung einer entsprechenden Politik erlauben würde. Das hätte den angenehmen Nebeneffekt, dass aus der "Berliner Republik" wieder ein funktionierendes Land werden könnte. 

Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der SPD sollte man freilich nicht zu große Hoffnungen auf eine wirkliche programmatische Wende setzen. Dennoch ist es ein gutes Zeichen, dass derartige Ansätze nun ernsthaft diskutiert werden. Die Zeit drängt, denn am 26. Mai drohen der SPD bei der Europawahl und den parallel stattfindenden Bürgerschaftswahlen in Bremen und Kommunalwahlen in mehreren Bundesländern monumentale Niederlagen. Dass mit Sigmar Gabriel ein ehemaliger Vorsitzender plötzlich als Hoffnungsträger erscheint, sagt auch viel aus über den Zustand der Partei.

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