Meinung

Europa unterschlägt russisches Geld – Russland wird es sich zurückholen müssen

Vieles deutet darauf hin, dass sich der Westen nach langem Eiertanz bald doch zur Aneignung beschlagnahmten russischen – staatlichen und privaten – Vermögens entschließen wird. Vorrangig geht es dabei um die Schaffung einer Finanzquelle für die Ukraine, es ist aber auch ein Mittel für die USA, Europa zu opfern, um sich selbst zu retten.
Europa unterschlägt russisches Geld – Russland wird es sich zurückholen müssenQuelle: Legion-media.ru © Rupert Oberhäuser / Imago

Von Irina Alksnis

Der Westen vollführt weiterhin einen Eiertanz um das beschlagnahmte russische Vermögen und die Frage der möglichen endgültigen Enteignung derjenigen, deren Eigentum es ist.

In den Medien kursieren Berichte über Druck vonseiten des Weißen Hauses auf seine Verbündeten, diesen Schritt zu gehen. Das vielleicht Interessanteste von dem, was bislang durchsickerte, wurde von der Financial Times veröffentlicht: Washington wirbt unter den G7-Mitgliedern für das Konzept, das russische Geld als "legitime Gegenmaßnahme für jene Staaten, die von Russlands Verletzung internationalen Rechts besonders betroffen sind", zu enteignen.

Andererseits werden in denselben Medien immer wieder Stimmen von Experten laut, die die Unterschlagung russischer Währungsreserven für eine schlechte, sehr schlechte Idee halten. Unter den Skeptikern finden sich Bloomberg-Kolumnisten und der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller. Letzterer sagte sogar, dass es eine Katastrophe wäre, sollte die Konfiszierung tatsächlich umgesetzt werden.

Die Hauptargumente der Kritiker sind bekannt: Eignet sich der Westen das russische Vermögen an, so untergräbt er das Vertrauen der ganzen Welt in das Dollarsystem und den Westen als Ganzes. Das wiederum würde zu einem weiteren Rückgang des Einflusses der Vereinigten Staaten und Europas auf der internationalen Bühne führen und die Prozesse der Entdollarisierung des globalen Finanzsystems beschleunigen.

Die bisherigen Vorgänge rund um die eingefrorenen russischen Gold- und Währungsreserven erwecken bewusst oder unbewusst den falschen Eindruck, dass der Westen bei der Enteignung rechtliche Bedenken hat und nur deshalb auf die Bremse tritt. Warum ist dieser Eindruck falsch? Weil der Westen in der jüngsten Geschichte wiederholt Präzedenzfälle der Beschlagnahmung eingefrorener ausländischer Vermögenswerte schuf und sich dabei um internationales oder nationales Recht nicht scherte.

"Roskongress" hat einen Bericht mit dem Titel "Einfrieren von Vermögenswerten: Traditionen und neue Prinzipien der Arbeit des Westens mit den Reserven von Drittländern" erstellt, in dem daran erinnert wird, dass die Vereinigten Staaten bereits wiederholt ausländische Gelder, die bei amerikanischen Banken eingefroren wurden, konfisziert hat. Da ging es beispielsweise um Vermögen von Staaten wie Irak, Iran, Afghanistan und Kuba. Übrigens hat Washington im Frühjahr dieses Jahres den Prozess gegen Teheran vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag über die Beschlagnahmung iranischer Vermögenswerte verloren.

Alle Begründungen für die Verzögerung der Enteignung russischer Vermögenswerte, die auf die angebliche Neuartigkeit solcher Vorgänge und auf damit verbundene juristische Zweifel verweisen, sind also nichts weiter als Heuchelei. Wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, sich das russische Vermögen ohne tatsächliche Konsequenzen anzueignen, hätten die Amerikaner und die Europäer das Verfahren längst durchgeführt und so getan, als wäre alles rechtens. Das Problem ist nur, dass sie auf eine Reihe von ernsthaften und sich verschärfenden Schwierigkeiten nicht juristischer Art gestoßen sind.

Natürlich liegt ein Teil der Ursache für ihre Ohnmacht in der politischen und wirtschaftlichen Stärke Russlands – aber eben nur ein Teil. Während Afghanistan oder Kuba in der Tat kleine, arme Länder in der geopolitischen Peripherie sind, die der Westen noch nie gezwungen war, mit Respekt zu behandeln, so ist Iran eine mächtige Regionalmacht. Und dennoch hat das Land die volle Wucht westlicher Sanktionen zu spüren bekommen. Teheran hat sie durchgestanden, aber es ist ihm nicht leicht gefallen.

Der Hauptgrund für die Unentschlossenheit der Amerikaner und Europäer liegt somit nicht in der Stärke Russlands, sondern in der eigenen Schwäche des Westens (zu der unser Land allerdings einen gewissen Beitrag geleistet hat). Auf dem Höhepunkt ihrer globalen Dominanz konnten die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in der Tat jedes Land, selbst ein großes, in einen echten Paria verwandeln, wenn nicht gar zerstören: der starke, reiche und entwickelte Iran ist da nur ein Beispiel. Man kann sich ausmalen, wie es Russland ergangen wäre, wenn es mit der derzeitigen Entschlossenheit und Verbitterung bereits 2014 in eine Auseinandersetzung mit dem Westen eingetreten wäre. Natürlich hätten wir es damals, vor zehn Jahren, unter dem derzeitigen Sanktionsregime viel, viel schwerer gehabt.

Doch die Welt hat sich in den letzten zehn Jahren radikal verändert: Der Westen ist geschwächt und wird von internen Problemen zerrissen, seine Konkurrenten gewinnen in allen Regionen rasch an Stärke, alternative internationale Strukturen und Prozesse, die sich der Kontrolle Washingtons entziehen, werden aufgebaut, und die Entdollarisierung ist in vollem Gange. 

In dieser Situation ist die Idee, 300 Milliarden russischer Goldreserven zu stehlen, weniger verlockend als ursprünglich gedacht. Diese Summe an sich ist für Moskau nicht kritisch, es plant vorerst ohne sie. Zugleich sind diese 300 Milliarden weitgehend virtuell, real wird der Westen weitaus Geringeres ergattern, wenn er es tatsächlich versucht. Aber wir können sicher sein, dass die Beschlagnahmung den Prozess der Entdollarisierung und der Entwestlichung des Planeten weiter ankurbeln wird, da alle Länder, die zumindest eine minimale Wahl haben, dem Westen noch energischer davonschwimmen werden.

Es bleibt jedoch die Frage: Verstehen die Beamten in Washington, Berlin, Paris, Brüssel und wie sie alle heißen, diese offensichtlichen Umstände nicht? Es besteht der Verdacht, dass sie es tun, aber unter den derzeitigen Umständen das Risiko in Kauf nehmen wollen. Denn schließlich halten sie all dies doch für die beste unter all den schlechten Lösungen.

Erstens zwingt die sich verschlechternde Wirtschaftslage den Westen dazu, nach möglichen Finanzierungsquellen für Kiew zu suchen. Konfiszierte russische Vermögenswerte, an die sie tatsächlich herankommen können, würden es ihnen ermöglichen, diesen Ausgabenposten für ein oder zwei Jahre zu finanzieren. Das ist in diesen Zeiten ein beträchtlicher Zeitraum.

Zweitens – und das ist das Wichtigste – zeigen die Ereignisse der letzten zwei Jahre, dass die USA, denen es nicht gelungen ist, den größten Teil der Welt unter ihre Kontrolle zu bringen, Europa für die eigene Rettung zu opfern bereit sind. Es scheint also kein Zufall zu sein, dass alle oben erwähnten Insider in westlichen Publikationen berichten, die Amerikaner arbeiteten mit ihren Verbündeten aktiv an der Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Washington, wie bei so vielen anderen Themen, die Europäer "in die Schlacht schicken" will, während es selbst am Rande steht und zusieht.

Dem Argument, dass "Europa nicht so verrückt ist, sich selbst in den Fuß zu schießen", möchte ich entgegenhalten, dass Russland in der Frage seiner Gaspipeline von genau dem Gleichen überzeugt war. Das Leben hat gezeigt, wie falsch wir lagen. Vor einer Woche hat die deutsche Staatsanwaltschaft das Verfahren zur Beschlagnahme der eingefrorenen privaten Vermögenswerte von Russen in Höhe von 720 Millionen Euro eingeleitet. Nochmals: Da geht es nicht um Staatsvermögen, sondern um Privatvermögen. Nach Ansicht von Experten wird das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft mit ziemlicher Sicherheit stattgeben. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass wir zusehen müssen, wie sich Europa weiter für die USA zu Grabe trägt.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 28.12.2023 auf ria.ru erschienen. 

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