Meinung

Lula zu von der Leyen: "Wir brauchen mehr Diplomatie und weniger Militärinterventionen!"

Erst versuchte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Brasilien im Ukraine-Konflikt auf die Seite des "Wertewestens" zu ziehen. Dann anschließend die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Vergeblich. Der brasilianische Präsident Lula da Silva hat seine eigene Sicht.
Lula zu von der Leyen: "Wir brauchen mehr Diplomatie und weniger Militärinterventionen!"Quelle: AFP © Everisto Sa

Von Maria Müller

Zuerst Annalena Baerbock, nun Ursula von der Leyen: Deutsche Politikerinnen geben sich in Brasilien gerade die Klinke in die Hand. Annalena wurde nicht von Lula empfangen, Ursula schon. Wie man sich leicht ausmalen kann, will Deutschland und die Europäische Union das verlorene politische Terrain im Globalen Süden wieder zurückerobern, um China und Russland zu verdrängen. Man schickt seine Emissärinnen nach Afrika und Lateinamerika, um mit möglichen Wirtschaftsvorteilen zu locken, deren Preis natürlich eine Positionierung an der Seite der westlichen Kriegsführung in der Ukraine sein soll.

Auch in Südamerika gibt es einige Panzer und Kanonen, die in die Ukraine gebracht werden könnten, und vor allem gibt es viele junge Männer, die sich als Söldner nach dorthin verdingen würden, wenn die NATO zahlt … gutes Geld für die hungrigen Familien.

Doch in Brasilien läuft das nicht so glatt. Der selbstbewusst agierende brasilianische Präsident Lula da Silva besteht in den internationalen Beziehungen auf eigenen Vorstellungen, was er seit seinem Amtsantritt mehrfach verdeutlicht hat. Im Fall des Krieges in der Ukraine verurteilt er aus völkerrechtlicher Sicht jede militärische Intervention in einem anderen Land, versteht jedoch die NATO-Osterweiterung und die Militarisierung der Ukraine als existenzielle Bedrohung Russlands.

Der Präsident bezieht Position für Friedensverhandlungen

"Es gibt für den Konflikt in der Ukraine keine militärische Lösung", hielt Lula der Ursula entgegen, als sie das Gespräch in Richtung Ukraine lenkte. Und weiter:

"Wir brauchen mehr Diplomatie und weniger bewaffnete Interventionen – sowohl in der Ukraine als auch in Palästina, im Jemen. Die Schrecken des Krieges und das Leid, das er verursacht, können nicht selektiv behandelt werden", sagte der Präsident.

Er erinnerte daran, dass die Grundsätze des Völkerrechts für alle gleich gelten, nicht nur für bestimmte Länder. Lula verweist auf die Notwendigkeit, eine Eskalation der Spannungen zwischen Kiew und Moskau zu verhindern und verurteilt "die Anwendung von Gewalt und ihre unkalkulierbaren Risiken".

Eine internationale Staatengruppe als Begleiter von Verhandlungen

Seit Wochen bemüht sich der brasilianische Präsident, eine Gruppe oder einen Klub von Nationen zu gründen, die die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine leiten und überwachen sollen, um den Konflikt zu entschärfen und einen ausgehandelten Frieden zu erreichen. Lula sagte, er habe Gespräche mit den BRICS-Staaten geführt, um seinen Friedensvorschlag für die Ukraine vorzulegen.

"Mein Vorschlag ist, einen Club von Ländern zu gründen, die Frieden auf dem Planeten schaffen wollen. Brasilien ist bereit, einen guten Beitrag zu leisten. Die Welt braucht Frieden", schlägt Lula seit letztem Januar vor.

Doch die frühere Verteidigungsministerin Deutschlands und heutige Präsidentin der EU mochte sich dem Ruf nach "Frieden" nicht anschließen. Gehört sie doch zu den europäischen Kriegstreibern ersten Ranges und feuert die Unionsstaaten zu immer neuen Waffenlieferungen an. Das ist auch in Südamerika bekannt.  Insofern konfrontierten die Feststellungen und Wünsche des brasilianischen Präsidenten die europäische Scharfmacherin mit der Tatsache, dass sich hier zwei Regionen mit diametral entgegengesetzten politischen Konzepten gegenüberstehen.

Von der Leyen weicht den Verhandlungsplänen aus

Den Presseberichten ist nicht zu entnehmen, ob sich von der Leyen zu der brasilianischen Friedensinitiative überhaupt äußerte. Offiziell betonte sie nur einige der Konsequenzen:

"Die Auswirkungen dieses Krieges gehen weit über die Grenzen der Ukraine hinaus", wird sie zitiert. Sie beklagte die Inflation oder den Mangel an Düngemitteln in lateinamerikanischen Ländern. Doch sie vergaß zu erwähnen, dass die NATO-Staaten den internationalen Handel mit russischen Düngemitteln sanktionieren und sabotieren, wie sie nur können, und dass sich die Kornkammern des Westens nach dem Getreideabkommen füllten, die Länder des Südens jedoch leer ausgingen.

Als Schmeichelgeste erkannte von der Leyen an, dass Brasilien während der für 2024 geplanten G20-Präsidentschaft eine sehr wichtige Rolle spielen werde. Außerdem erwähnte sie die Tatsache, dass Brasiliens Energieversorgung zu 87 Prozent aus erneuerbaren Energien besteht, verglichen mit einem weltweiten Anteil von 50 Prozent. "Wir können viel von Brasilien lernen", sagte von der Leyen. Des Weiteren lobte sie Lulas neue Umweltpolitik zum Schutz der Amazonas-Region und kündigte an, dass die Europäische Union den Amazonas-Fonds mit 20 Millionen Euro unterstützen werde. Das ist ein internationales Projektkonto für Maßnahmen zum Schutz des größten Tropenwaldes der Erde, der nach der Rückkehr Lulas wieder aktiviert wurde.

Der Freihandelsvertrag zwischen Europa und dem MERCOSUR

Doch das Zuckerbrot in ihrem Gepäck sollte der Freihandelsvertrag zwischen Europa und dem MERCOSUR sein. Die Besucherin forderte dazu auf, das seit 20 Jahren ausgehandelte und immer wieder überarbeitete Vertragswerk bis spätestens Ende des Jahres zu unterzeichnen. Da Europa im März einen neuen Anhang hinzufügte, fühlt sich Brasilien nun übervorteilt. Im Fall von Umweltschäden sollen damit verbundene Produktionszweige nicht nach Europa exportieren können.

"Ich habe Präsidentin von der Leyen die Bedenken Brasiliens im Hinblick auf das von der Europäischen Union im März dieses Jahres vorgelegte Zusatzinstrument zum Abkommen erläutert, das die Verpflichtungen Brasiliens erweitert und bei Nichteinhaltung Sanktionen vorsieht", sagte der Präsident nach dem Besuch der Vertreterin Europas.  

Kürzlich hat die EU ein Gesetz verabschiedet, das seinen Markt für Produkte wie Kaffee, Sojabohnen oder Fleisch schließt, wenn sie zur Entwaldung oder Waldschädigung beitragen.

"Die Europäische Union hat ihre eigenen Gesetze verabschiedet, die extraterritoriale Auswirkungen haben und die Ausgewogenheit des Abkommens verändern. Diese Initiativen stellen potenzielle Beschränkungen für Agrar- und Industrieexporte aus Brasilien dar", kritisierte Lula.

Umweltbestimmungen als Grauzone zum Vorteil der europäischen Agrarindustrie?

Brasilien argumentiert, dass die neuen Bestimmungen von Europa nicht nur aus Umweltgründen verabschiedet wurden, sondern als Manövrierbereich dazu dienen können, die Interessen europäischer Agrarproduzenten zu schützen, die sich generell vor der südamerikanischen Konkurrenz fürchten. Sie hatten sich bisher heftig gegen die Vereinbarung mit dem MERCOSUR gewehrt. Nun sind sie offenbar kompromissbereit … unter dem Schirm der neuen Umweltnormen, von der sie sich Vorteile erhoffen.

Die Koppelung von Import-Export-Bestimmungen an die Normen des Umweltschutzes ist auf beiden Seiten des Atlantiks eine Notwendigkeit, die auf der großformatigen Verwendung von giftigen Chemikalien beim Anbau und/ oder auf der Raubrodung riesiger Waldgebiete beruht. Die Agrar-Lobby besitzt auch in Brasiliens Parlament starke Fraktionen, die Lulas gute Umweltpläne zerfleddern oder blockieren. Umso wichtiger wären strikte und gerechte Verfahren für eine generelle Akzeptanz, die ihrerseits zu grundlegenden Veränderungen in der Agrarindustrie auf beiden Seiten führen müssten.

Der tiefe Widerspruch im Verhältnis zu den Ländern des Globalen Südens

Von der Leyens Mission in Lateinamerika bewegt sich in einem tiefen historischen Widerspruch, der aktuell von den Opfern der westlichen imperialen Politik immer offener kritisiert wird. Die schmerzlichen Erfahrungen mit dem Einmarsch von US-Truppen in lateinamerikanischen Ländern, die Umsturzversuche und Diktaturen von Washingtons Gnaden und die Ausbeutung ihrer wertvollen Rohstoffe …, all das erschwert heute das kurzfristig einberaumte Bemühen um Sympathie und Unterstützung. Wie zweischneidig diese Versuche sind, wird an der Androhung schwerer wirtschaftlicher Konsequenzen gegen Südafrika sichtbar, sollte es seine BRICS-Politik fortsetzen. Eine enge wirtschaftliche Kooperation mit Europa oder den USA bedeutet für die Partner auch immer den Zwang, sich der westlichen Geopolitik anzuschließen.

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