Meinung

Deutschland versucht, Russland für die eigenen schlechten Entscheidungen verantwortlich zu machen

Während man nach Alternativen sucht, beklagt Vizekanzler Robert Habeck, dass "Putin die Gasversorgung Deutschlands gekappt" hat. Leider hat ein offenkundiger Fokus auf Ideologie – sowohl auf die grüne als auch auf die antirussische – dem Wirtschaftsmotor der EU einen Tunnelblick verpasst.
Deutschland versucht, Russland für die eigenen schlechten Entscheidungen verantwortlich zu machen© Foto von Kay Nietfeld/Picture Alliance via Getty Images

Von Rachel Marsden

In der deutschen Stadt Brunsbüttel, in der Nähe von Hamburg, wurde vor rund zehn Tagen ein neues, an der Küste schwimmendes Terminal für verflüssigtes Erdgas (LNG) eingeweiht. Ein weiterer Schritt auf der Suche Deutschlands nach einer Alternative für Gaslieferungen, die nicht mehr aus Russland kommen können. Proteste von Einheimischen in der Nähe des Hafens, die sich gegen die Errichtung dieser Anlage aussprachen, störten die offiziellen Posaunen der Regierung, während unterdessen breitere Kritik über das Vorhaben Berlins geäußert wurde, die Gasimporte auf dem Land- und Seeweg hochzufahren, was Aktivisten für sehr umweltschädlich halten.

Der deutsche Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck von den Grünen erklärte, das neue Terminal in Brunsbüttel sei notwendig, weil "die Hälfte der Gaslieferungen nach Deutschland ausgefallen sind, nachdem Wladimir Putin sie eingestellt hat. Die Gaslieferungen wurden vollständig gekappt und sie werden nicht wieder aufgenommen."

So weit, so gut. Aber so hat es sich nicht abgespielt.

Vor fast einem Jahr, kurz bevor der Ukraine-Konflikt zum Krieg eskaliert war und Bundeskanzler Olaf Scholz das Genehmigungsverfahren für die Pipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt hatte, war Habeck bereits scharf darauf gewesen, dem russischen Gas auszumustern. Er teilte öffentlich im Radio mit, dass das Land darauf verzichten könne. Diese Bemerkung verursachte in der westlichen Presse prompt Stirnrunzeln, wobei Bloomberg diese Aussage als "heikel" bezeichnete.

Die Grünen rund um Habeck und die deutsche Regierung im Allgemeinen sind seit jeher von erneuerbaren Energien besessen. Der Krieg in der Ukraine kam da als Vorwand sehr gelegen, um noch einen draufzulegen.

"Wir arbeiten aktiv daran, von fossilen Brennstoffen aus Russland unabhängig zu werden", sagte Habeck im April und sprach von "großen Fortschritten". Nicht nur einmal, sondern zweimal erklärte Habeck öffentlich, dass er seine Zeit unter der Dusche reduziert habe, was sowohl ein Mittel sei, um Energie zu sparen, als auch, Putin eins auszuwischen. Das ist eine Geste, die an jene Leute erinnert, die an Handläufen von Rolltreppen ziehen und dabei glauben, dass sie damit die Leute nach oben bringen. Solche Maßnahmen würden "Putin nerven", meinte Habeck zudem. Eigentlich hat es vor allem die Deutschen und die Europäer genervt.

Habeck war am 8. März 2022, zusammen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, bei einem Treffen von Vertretern der EU in Versailles aufgetreten, bei von der Leyen mitgeteilt hatte: "Wir müssen unabhängig von russischem Öl, Kohle und Gas werden." Habeck hatte sich dem angeschlossen und verkündet: "Alle Anstrengungen der Bundesregierung und des ganzen Landes gehen dahin, diese Abhängigkeit schnellstmöglich zu reduzieren und dann den gewonnenen energiepolitischen Spielraum auch in sicherheitspolitischer Hinsicht zu nutzen."

Die EU verhängte mehrere Sanktionsrunden gegen das russische Finanzsystem und gegen russischen Banken, darunter die Sperrung einiger der größten Banken des Landes vom SWIFT-Zahlungssystem. Angesichts dieser Sanktionen forderte Moskau die Bezahlung des Gases in Rubel. Daraufhin versuchte die EU-Kommission, Richtlinien für Länder herauszugeben, damit man weiterhin für russisches Gas bezahlen kann, ohne gegen die eigenen Sanktionen zu verstoßen oder in Rubel zu zahlen.

Im vergangenen Juli, als Nord Stream 1, die Gas-Lebensader, die eine der letzten Hoffnungen Europas für russisches Gas darstellte, wegen Wartungsarbeiten hatte abgeschaltet werden müssen, hatte Habeck Kanada gebeten, einen Kompressor für die Pipeline freizugeben, der sich dort in Wartung befand, nachdem er unter die Sanktionen des Westens gefallen war. Dann, im September, waren die beiden Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf mysteriöse Weise gesprengt worden. Berlin hält sich mit den Ergebnissen seiner Ermittlungen zu der Täterschaft noch bedeckt. Angesichts der infolge europäischer Waghalsigkeit schwindenden Möglichkeiten, Gas zu beziehen, ging Deutschland auf die Suche nach Alternativen.

"Mithilfe dieser drei Terminals werden wir mindestens ein Viertel unserer Verluste wiedergutmachen können", sagte Habeck im NDR mit Blick auf die neuen Terminals für verflüssigtes Erdgas. Aber wer ist der Hauptnutznießer?

Jahrelang hatte Washington Deutschland unter Druck gesetzt, sich vom günstigen russischen Gas zu trennen, mit dem die Wirtschaft Deutschlands und jener der EU befeuert worden war, was der EU erlaubt hatte, wirtschaftlich mit den USA zu konkurrieren. Dieser Druck aus Washington umfasste Maßnahmen wie Sanktionen gegen Nord Stream 2, als sich das Projekt seiner Fertigstellung näherte. Die Verdrängung von russischem Gas aus dem europäischen Markt war seit Langem eine Priorität der USA, wie der 2019 vom US-Kongress eingeführte Protect European Energy Security Act (Verordnung über die europäische Energiesicherheit) belegt.

Kam es den europäischen Staats- und Regierungschefs nicht seltsam vor, dass sich Washington dermaßen "besorgt" über die Nutzung Europas von russischem Gas zeigte oder wie Washington davon profitieren könnte, wenn es in der Angelegenheit seine Nase reinsteckt? Man könnte natürlich argumentieren, dass die USA sich bloß wie ein besorgter Freund verhalten haben. Jene Art von Freund, der dir sagt, dass er deinen aktuellen Partner nicht mag, dich ermutigt, Schluss zu machen, und dich dann in derselben Minute anbaggert, in der du dich von ihm trennst.

Biden hat sehr früh die Weichen für Europa gestellt. Bereits im vergangenen März hatte er Brüssel besucht und versprochen, Europa mit verflüssigtes Erdgas zu beliefern. Aber Europa wusste anscheinend nicht, dass der neue Partner von jener Sorte sein wird, der einen erst zu einem Abendessen einlädt und dann darauf besteht, die Rechnung zu teilen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich wiederholt darüber beschwert, dass verflüssigtes US-Erdgas, das nach Europa exportiert wird, das Zwei- bis Vierfache des Preises kostet, der in den USA bezahlt werden muss. Aber wen interessiert schon das Kleingedruckte, nicht wahr?

Leider hat ein offenkundiger Fokus auf Ideologie – sowohl auf die grüne als auch auf die antirussische – dem Wirtschaftsmotor in der EU einen Tunnelblick verpasst und einen Mangel an Voraussicht hervorgerufen, dass man jetzt darauf zurückgreifen muss, die rostigen alten Kohlekraftwerke wieder hochzufahren, während die Abschaltung von Nuklearanlagen beschlossene Sache ist. Dass Habeck dies als die Zukunft der Energiesicherheit anpreist – zumindest bis sich etwas Besseres finden lässt –, ist wie der Typ, der zu seiner Ex zurückkriecht, während er weiterhin offen von Supermodels träumt.

Aus dem Englischen.

Rachel Marsden ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite finden man unter rachelmarsden.com.

Mehr zum Thema - Habeck: Sanktionen und Waffenlieferungen sind richtig – Die Krise ermöglicht Klima-Transformation

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.