Meinung

Deutsche Visa für Russen: De jure möglich – de facto nicht

Deutschland hat die Erteilung von Visa für russische Bürger formal nicht gänzlich ausgesetzt. Ein bürokratischer Taschenspielertrick macht aber den Erhalt eines Visums dennoch de facto unmöglich. Dabei könnte die Bundesrepublik doch einfach dem Beispiel der befreundeten baltischen "Demokratien" folgen.
Deutsche Visa für Russen: De jure möglich – de facto nichtQuelle: Gettyimages.ru

Von Maxim Sokolow

Die Bundesregierung hat eine sehr wichtige Änderung zur Einreise eingeführt, allerdings nur für russische Staatsbürger, die ein deutsches Visum beantragen müssen. Von nun an benötigen russische Antragssteller neben anderen Unterlagen auch Kontoauszüge, die auf den Namen des Antragsstellers von einer solchen Bank ausgestellt sind, die nachweislich in den EU-Mitgliedsstaaten arbeitet. Diese Dokumente müssen zudem konkrete Angaben über das Guthaben auf diesem Konto enthalten. Der Antragssteller müsse dafür entsprechende Kontoauszüge der letzten drei Monate einreichen.

Das Motiv hinter der Anforderung ist durchaus respektabel – der Antragssteller müsse nachweisen, dass er während seines Aufenthalts im Schengenraum über ausreichende Geldmittel verfügt.

Allerdings muss das Geld dabei unbedingt auf dem Bankkonto einer in der EU zugelassenen Bank deponiert werden, zu denen neuerdings ja die russischen Banken nicht mehr zählen – sie sind alle mit Sanktionen belegt. Alle übrigen Wege, die eigene Zahlungsfähigkeit nachzuweisen, wie etwa eine Vorlage von Bargeld oder beglaubigte finanzielle Garantien des Gastgebers, werden nicht akzeptiert. Egal, wie dick das vorgewiesene Bargeldbündel sein mag.

Bemerkenswerterweise erstrecken sich diese Anforderungen nicht nur auf Touristen, sondern auch auf Menschen, die Freunde oder Verwandte besuchen wollen oder ein Geschäftsvisum, ein Visum zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen, kulturellen oder sportlichen Veranstaltung oder auch zur medizinischen Behandlung beantragen.

Einst war die Halle für Gepäcksausgabe im Münchener Flughafen mit Werbeplakaten von privaten bayerischen Kliniken zugepflastert, die angeblich selbst einen quasi Toten wieder zum Leben erwecken könnten – wenn man denn nur genug bezahlen würde. Heute ist es nicht so. Wenn der Patient nicht bei einer ausländischen Bank Kunde ist, bleibt ihm nur unser "sowjetischer" Friedhof. Nach der neuen Regelung müsste übrigens auch ein gewisser "prominenter" Patient, der im Herbst 2020 in das Berliner Charité-Krankenhaus eingewiesen wurde, zunächst einmal einen Kontoauszug einer deutschen Bank vorweisen.

Oder wird es vielleicht eine Ausnahme für "verdiente Kämpfer" bei Visaregelungen geben? Wenigstens, falls die Außenministerin Annalena ohne jegliche Bürokratie persönlich verfügt: "Genehmigen, verdammt nochmal!"

Natürlich ist die Forderung nach dem Kontoauszug einer für normalsterbliche Russen unerreichbaren Kreditanstalt ein Meisterwerk deutscher Bürokratie. Es gleicht einer Bedingung aus einem Zaubermärchen – der Bittsteller erhält einen Beutel mit Sand und die Zusage, dass seine Bitte sofort gewährt werde, sobald die Sandkörner Sprossen treiben. Der Form nach ist alles korrekt, niemand mag sagen "Niemals". Man möge doch nur die Sandsprossen vorweisen – und alles wird gut.

Unklar ist es allerdings, warum die Zauberkünstler aus dem Auswärtigen Amt zu solchen Kunststückchen greifen. Die baltischen oder tschechischen Behörden suchen da nicht nach Ausflüchten, sondern erklären schlicht und ergreifend, dass Russen bei ihnen unerwünscht seien und dass sie ihnen keine Visa erteilen werden, Punkt.

Dazu haben sie auch ein gutes Recht. Jedem formal souveränen Staat steht es frei, zu beschließen, dass Russen (oder Juden, Mongolen, Schwarze usw.) auf seinem Gebiet unerwünscht seien, dass man ihnen keine Visa erteilen und sie nicht mehr über die Grenze lassen werde. Bedenkt man, dass andere freie Staaten und internationale Organisationen nichts gegen solche Praktiken haben, ist das Recht auf souveräne Willkür über jeden Zweifel erhaben.

Eigentlich könnte sich Deutschland ein Beispiel an Estland nehmen – das sei doch immerhin eine musterhafte Demokratie. Freilich bleibt noch das Problem, dass sich die Esten eben vor gar nichts fürchten und sich auch für nichts schämen. Auch nicht dafür, dass Estland einst "judenfrei" war, nicht für die estnische SS-Division und nicht für die estnischen Strafkommandos im Gebiet Pskow. Dagegen verfügen die Deutschen heute doch noch über eine rudimentäre Scham. Sie können noch immer nicht schamlos verkünden: "Russen sind hier unerwünscht." Stattdessen bevorzugen sie Zaubertricks.

Betrachtet man das jetzige Unerwünschtsein von Russen in der EU, so wird eine immer klarere Trennung sichtbar. Die nord- und osteuropäischen Länder beschreiten unter der Führung der baltischen Staaten unerschütterlich den Weg einer völligen Ablehnung von Russen. Nun schließt sich auch Deutschland ihnen zwar an, verdient aber bisher nur den Titel eines schamhaften Randstaates. Die endgültige "Baltisierung" Deutschlands wird erst dann vollendet sein, wenn das Sowjetische Ehrenmal im Berliner Treptower Park abgerissen sein wird.

Indessen hält sich noch Südwesteuropa – Italien, Spanien, Frankreich. Das französische Außenministerium verkündete bereits, dass es derzeit keine Zaubertricks nach deutscher Art plane.

Offensichtlich umfasst der Titel "Randstaat", selbst für einen westeuropäischen Staat mit einer reichen Geschichte, nur recht wenig Ehre. Auch die Tourismusbranche – immerhin für 13 bis 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts verantwortlich – will man sich, wenn schon nicht vollständig, so doch zumindest als Grundlage für einen Wiederaufbau in fernerer Zukunft bewahren. Die "Helden der Ukraine" sorgen derzeit eher nur für Probleme, während russische Touristen angenehme Einnahmen bringen. Und so preschen die romanischen Völker in der EU im Gegensatz zu den disziplinierten Deutschen noch nicht vor. Was die Zukunft bringen wird, werden wir sehen.

Übersetzt aus dem Russischen.

Maxim Sokolow, Jahrgang 1959, ist ein bekannter russischer Publizist, Schriftsteller und Fernsehmoderator.

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