Meinung

Neokolonial, aggressiv und konfrontativ – Das Grünen-Wahlprogramm zur Außenpolitik

Die Grünen haben sich positioniert. Nicht nur mit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin, sondern auch mit dem Programmentwurf zur Bundestagswahl. Es gilt, insbesondere die außenpolitischen Positionen wahrzunehmen. Denn diese gehen einen weiteren Schritt nach rechts.
Neokolonial, aggressiv und konfrontativ – Das Grünen-Wahlprogramm zur AußenpolitikQuelle: www.globallookpress.com © Leonhard Simon / www.imago-images.de

von Gert Ewen Ungar

Ende März legte der Bundesvorstand der Grünen seinen Programmentwurf zur Bundestagswahl vor. Von besonderem Interesse sind die Teile, in denen sich die Grünen außenpolitisch positionieren. Hier lässt sich die inzwischen durchweg neokonservative Grundhaltung grüner Außenpolitik ablesen. Der weichgespülte Ton kann im Bereich der internationalen Programmatik kaum darüber hinwegtäuschen: Grüne Politik ist neoimperial, neokolonial, aggressiv und konfrontativ. Die Grünen behaupten in allen politischen Bereichen eine Überlegenheit, an der sich die Welt auszurichten hat. Es ist eine erschreckende Entwicklung, welche die Grünen genommen haben. 

Zentral fehlt grüner Politik ein grundlegendes, reflexives Element, das sie zur tatsächlichen Diplomatie und zu einer tatsächlichen Gestaltungsmacht auf internationalem Parkett befähigen würde. Es fehlt der Blick und das Verständnis für historische Prozesse, Entwicklungen in anderen Ländern und Kulturen. Es fehlt, das mag überraschen, der Blick für die Diversität und Vielfalt in der Welt.

Diversität ist den Grünen nur auf der individuellen Ebene ein Wert. Zwischen Staaten und Kulturen gilt dieses Prinzip des Respekts vor Unterschiedlichkeit nicht. Da gilt der westliche Führungsanspruch und das westliche Wertesystem – und zwar ausschließlich. Bemühen um Verstehen und Verständnis gilt den Grünen als Schwäche.

Die allen Themenkreisen zu internationaler Politik unterliegende These ist ebenso schlicht, wie sie voraufgeklärt und damit letztlich reaktionär ist: Wir sind die Guten. Wir sind das Beispiel für die Welt. Aus dieser schlichten These leitet sich der missionarische Ton und der Wille ab, die Welt nach deutschem und westlichem Vorbild zu formen. Ja, mehr noch. Hier zeigt sich der Wille, die Welt in westliche Gestalt zu zwingen. So wie es bei uns ist, so muss es überall sein. 

Der Programmentwurf atmet in seinen außenpolitischen Teilen den Geist einer dunklen Vergangenheit. Er wurzelt in einem Überlegenheitsgefühl und wertet andere Länder, Kulturen und Regionen ab, insbesondere dann, wenn sie sich dem transatlantischen Führungsanspruch verweigern. Gegenüber dem transatlantischen Bündnis und der EU bleibt der Programmentwurf unkritisch – obwohl gerade hier die Entwicklungen aktuell einen besonders problematischen Verlauf nehmen.

Im Westen, der EU und auch in Deutschland gibt es immer strengere Zensur, Beschneidung der Pressefreiheit, umfassende Einschränkungen der Grundrechte, einen Drift nach rechts in Richtung Totalitarismus und Entdemokratisierung bei gleichzeitigem Willen, außenpolitische Konflikte zu eskalieren und Diplomatie durch Kriegsrhetorik und militärische Stärke zu ersetzen. Die Grünen haben an dieser Entwicklung maßgeblichen Anteil. Ihre eigene Geschichte ist für diesen Rechtsrutsch ein herausragendes Beispiel. 

Im grünen Programmentwurf lässt sich diese Hinwendung zum Neokonservativen an zentralen Punkten nachweisen. Insbesondere die Punkte Europa und internationale Politik machen das deutlich. 

Reform des UN-Sicherheitsrates – Umgehung des Vetorechts

So schwebt den Grünen vor, die Vereinten Nationen zu reformieren. Das Vetorecht der fünf Vetomächte soll künftig umgangen werden können. Alles im Namen des Schutzes der Menschenrechte, versteht sich. Wenn der Sicherheitsrat angesichts des Vetos einzelner Mitglieder nach grüner Sprachregelung "handlungsunfähig" ist, soll es im Fall von schweren Menschenrechtsverletzungen möglich sein, den Sicherheitsrat zu umgehen. 

Dass dieser Vorschlag ausgerechnet von den Grünen kommt, irritiert. Denn die Intervention im Namen der Schutzverantwortung war das zentrale Argument, das der erste grüne Außenminister Joschka Fischer benutzt hat, um Deutschland in den ersten völkerrechtswidrigen Krieg nach 1945 zu führen. Fischer wie auch sein Ministerkollege Scharping von der SPD hatten damals gelogen. Es gab keinen Genozid in Jugoslawien. Aber aus dem Vorwurf des Völkermordes leiteten sie die Schutzverantwortung und damit das Recht zur militärischen Intervention ab. Mit dieser Lüge wurde aus dem vermeintlich humanitären Einsatz ein schlichter Überfall auf ein anderes europäisches Land. 

Gelernt haben die Grünen daraus nichts, denn die Schutzverantwortung wird weiterhin instrumentalisiert. Egal ob Syrien, China oder ein anderer Ort der Welt, der nicht in den transatlantischen Einflussbereich fällt, immer ist es die Schutzverantwortung, die als Begründung für die Bereitschaft zu aggressiven Maßnahmen herhalten muss – auch wenn die Faktenlage bestenfalls fragwürdig ist. Gegenüber massiven Menschrechtsverletzungen im NATO-Raum und von NATO-Mitgliedsländern verübten Verbrechen stellen sich die Grünen dagegen blind und taub. 

Was nun die Reformvorschläge der Grünen für den Sicherheitsrat der UN angeht, zielen sie letztlich auf eine Ausweitung der Macht der NATO-Staaten. Schon jetzt dominieren die NATO-Staaten den Sicherheitsrat. Von den fünf Vetomächten sind drei in der NATO: die USA, Großbritannien und Frankreich. Wenn insbesondere die Grünen und mit ihnen deutsche Medien von einer Blockade im Sicherheitsrat sprechen, ist nicht die Verweigerung der NATO-Staaten gemeint, einer gemeinsamen Resolution von Russland und China zuzustimmen. Gemeint ist das Veto Russlands oder Chinas gegenüber einer von den NATO-Staaten eingebrachten Forderung. 

Dieses Veto soll nach den Vorstellungen der Grünen künftig umgangen werden können. Die Entscheidung über ein Eingreifen soll dann in der Generalversammlung per qualifizierter Mehrheit fallen. Dort aber hat das westliche Bündnis umfassenden diplomatischen Einfluss. Die grüne Forderung dient schlicht der Aushebelung der bestehenden Machtverhältnisse und begünstigt einseitig den Wesen und das westliche Militärbündnis. Es würde zudem China und Russland für westliche Aggression im Namen der vorgeblichen Verteidigung der Menschenrechte öffnen. Mit ihrer Forderung lassen die Grünen zudem unter den Tisch fallen, dass das Vetorecht zahlreiche Fehlentscheidungen des westlichen Bündnisses korrigiert und die Welt vielfach vor einer Eskalation geschützt hat. 

Genau das ist auch der Zweck des Vetorechts: militärische Eskalation zu verhindern. Der Zwang, miteinander sprechen zu müssen, ist eben kein Versagen des Sicherheitsrats, er ist nicht "handlungsunfähig". Die Grünen halten diesen Zwang zum Dialog und die umfassende Suche nach einem tragfähigen Kompromiss für nicht mehr zeitgemäß. Dieser Wille, die Suche nach Kompromissen und diplomatischen Lösungen aufzugeben, würde zweifellos einen gravierenden Rückschritt in der internationalen Zusammenarbeit bedeuten.

Die beiden Vetomächte Russland und China durchziehen den Programmentwurf wie ein roter Faden. Sie sind die ausgemachte Herausforderung, die große Konfrontation, die Reibungsfläche grüner Außenpolitik. Als Austragungsort für diese Konfrontation sind die Grünen bereit, den europäischen Kontinent zur Verfügung zu stellen.

Europa soll nach dem Willen der Grünen zum ökonomischen und strategischen Austragungsort der geopolitischen Konfrontation werden. Und dies aus dem bloßen Gefühl einer moralischen Überlegenheit heraus, dem die Fakten längst nicht mehr entsprechen, und mit allen negativen Konsequenzen für die Bürger Deutschlands, der EU und Europas.

Das alles ist gefährlich und realitätsfremd. Sowohl Russland als auch China stellen trotz aller anderslautender Propaganda keine Bedrohung dar. Die Kooperationsangebote sind zahllos, der Wille, den eurasischen Kontinent zu befrieden ist offenkundig. Die größte Bedrohung der Menschenrechte geht zudem weder von Russland noch von China, sondern vom Westen aus – vielfach mit deutscher Beteiligung und der Zustimmung der Grünen. Extralegale Tötungen via Drohnen, illegale Kriege, Internierungen ohne rechtsstaatliches Verfahren, Zunahme von Zensur, Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und Sanktionen, die direkt die Bürger treffen – die Liste westlicher Untaten ließe sich fortsetzen. Für den moralischen Zeigefinger, mit dem die Grünen in Richtung Russland und China deuten, gibt es aktuell nicht den Hauch einer faktenbasierten Grundlage. 

Der Programmentwurf sagt es deutlich: Die Grünen glauben sich in einem Systemwettbewerb. Sollten die Grünen in die Lage kommen, ihren Dominanzanspruch in der Politik umsetzen zu können, werden wir alle die Konsequenzen der Verweigerung von internationaler Kooperation zu tragen haben.  

Stopp von Nord Stream 2

Das transatlantische Bündnis bleibt unhinterfragt. Den Bau von Nord Stream 2 wollen die Grünen stoppen. Sie halten ihn für energie- und geopolitisch schädlich und verweisen dabei auf die Ukraine. Hier wird die kognitive Dissonanz der Grünen besonders deutlich, denn das Kapitel zu Russland wird mit dem Satz eingeleitet, Russland habe sich zunehmend in einen autoritären Staat gewandelt, der zudem die Demokratie und Stabilität in der EU untergrabe. Belege für diese These werden nicht gebracht. Gleichzeitig wird die Ukraine, in der eine strenge Zensur herrscht und die sich immer schneller in einen autoritären Staat wandelt, mit Solidarität bedacht. Entsprechend ihrer Einseitigkeit fordert der Programmentwurf die Beibehaltung und Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. 

Die Grünen sind bereit zur aktiven Eskalation von Konflikten auf europäischem Boden. Der Programmentwurf bekennt sich in Bezug auf Russland zudem explizit zur Praxis der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder, bekennt sich zur Regime-Change-Politik. 

Ähnlich naiv wie ihre Haltung zur UNO ist auch die Haltung der Grünen zur Europäischen Union. Einerseits wird eine Erweiterung angestrebt. Albanien und Nord-Mazedonien sollen als Mitglieder aufgenommen werden. Gleichzeitig soll die Integration vertieft werden. Die direkte Schuldenaufnahme der EU soll verstetigt, der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll zu einem Währungsfond umgebildet werden.

Insbesondere die Umwandlung des ESM in einen europäischen Währungsfond wirkt auf den ersten Blick klug, ist aber angesichts des privatwirtschaftlichen Status des ESM mit Sicherheit keine gute Idee. Das eigentliche Ziel der Überwindung der Konkurrenz der Nationalstaaten untereinander kann mit diesem Instrument kaum verwirklicht werden. 

Zentral wäre, endlich die seit Jahrzehnten versprochene Demokratisierung der EU tatsächlich voranzubringen. Aber genau in diesem Punkt kommt der Programmentwurf über ein paar Floskeln nicht hinaus. Ganz konkret wird es dann allerdings, wenn es um den Euro geht. Diesen wollen die Grünen zur Leitwährung machen. Der grüne Traum ist es, über den Euro als Leitwährung die europäischen Werte zu transportieren. Das bedeutet, den Euro zum Mittel politischen Drucks zu machen. Zahlreiche Länder lösen sich gerade vom Dollar, weil die USA ihre Position auszunutzen und den Zugang zum Dollar als Leitwährung für die Durchsetzung politischer Ziele missbrauchen. Die Ankündigung, den Euro ähnlich instrumentalisieren zu wollen, wird man hören und die Währung aus unter anderem genau diesem Grund meiden. Dieser Traum ist, mit Verlaub, größenwahnsinnig. 

Was sich die Grünen in ihren Programmentwurf geschrieben haben, ist auf der einen Seite absolut naiv, auf der anderen Seite in dieser Naivität absolut gefährlich. Wer die Grünen wählt, wählt die außenpolitische Rücksichtslosigkeit, die Konfrontation, macht den europäischen Kontinent zum Austragungsort geopolitischer Konflikte, wählt den Krieg. All dies geht aus dem Programmentwurf hervor. Er ist, wie eingangs geschrieben, getragen vom neoimperialen, neokonservativen Geist und einem kompromisslosen Glauben an die eigene Überlegenheit. Von den Grünen kommt für Europa nichts Gutes.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Mehr zum Thema - Wer macht Propaganda? "EU-Bericht" über "russische Desinformation" gegen Deutschland existiert nicht

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.