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Reaktionen auf den Tod der Soldaten in Makejewka: Suche nach Schuldigen und Vergeltungsschläge

Gegenseitige Präzisionsschläge auf Soldatenquartiere gehören inzwischen zur grausigen Realität im Ukraine-Krieg. Getötet werden Dutzende oder gar Hunderte Soldaten, und zwar nicht in einer Kampfsituation. Jeder solche Angriff erfordert deshalb eine ausführliche Ursachenforschung.
Reaktionen auf den Tod der Soldaten in Makejewka: Suche nach Schuldigen und VergeltungsschlägeQuelle: Sputnik

Die Nachricht vom verheerenden Schlag mit vier HIMARS-Raketen auf eine provisorische Soldatenunterkunft in Makejewka bei Donezk sorgte in Russland für Verbitterung und Enttäuschung. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums kamen bei dem Angriff 89 mobilisierte Soldaten ums Leben. Da die Bergungsarbeiten weiterhin laufen und die schwer Verwundeten sterben können, ist diese am Dienstag aktualisierte Zahl nicht abschließend. In der Herkunftsregion vieler Soldaten Samara fanden am Dienstag Trauerkundgebungen mit einem Gottesdienst statt.

Die Opfer des Angriffs waren im Gebäude einer zuvor leerstehenden Berufsschule untergebracht und in der ersten Minute des neuen Jahres in Feierlaune, als die Raketen einschlugen. Dieser Umstand wurde als besonders bitter wahrgenommen.

In den deutschen Medien wurde die Hoffnung geäußert, dass es nach dem Schlag auf Makejewka zu Protesten der Soldatenmütter gegen Präsident Wladimir Putin wegen der Inkompetenz der Militärführung kommen könnte. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass russische Zentralbehörden angeblich die Schuld für die riskante Einquartierung nahe der Front auf die örtlichen Behörden in der Volksrepublik Donezk abzuwälzen suchen.

In der Tat entfaltete sich im russischen Internet und den militärbezogenen Telegram-Kanälen an den ersten beiden Januar-Tagen intensive Ursachenforschung. Es kam auch die Nachricht, dass Putin eine interne Ermittlung eingeleitet hat. Eine offizielle Bestätigung erfolgte allerdings nicht. Dass ein solch opferreicher Angriff möglich wurde, könnte jedenfalls personelle Konsequenzen in den oberen Militäretagen nach sich ziehen.

Entsprechend wurde Kritik am verantwortlichen Leitungspersonal wegen Fahrlässigkeit laut. Der angesehene Feldkommandeur und Militäranalyst Alexander Chodakowski beschuldigte die zuständigen Kommandostrukturen der Nichtbeachtung der strengen Sicherheitsregeln bei der Tarnung der Mannschaftsunterkünfte. Dazu gehört vor allem die räumliche Verteilung der Soldaten und die Nutzung unterirdischer Unterkünfte.

Chodakowski kommentierte auf seinem Telegram-Kanal aus eigener Erfahrung und sprach von Bequemlichkeit der Militärführung, die den Weg des geringsten Widerstands suche. Er forderte die Wiedereinführung der Höchststrafe für Vergehen an der Front auf.

"Was geschehen ist, kann nicht geändert werden, aber man kann eine Wiederholung verhindern. Und wenn nach dieser Tragödie keine Maßnahmen für ähnliche Situationen ergriffen werden, sollte das Erschießungskommando in erster Linie auf diejenigen angewandt werden, deren Untätigkeit zu solchen Folgen führt."

Chodakowski, der das Bataillon Wostok – eine der kampffähigsten Spezialeinheiten an der Front – anführt, wies darauf hin, dass dem Feind auch andere Standorte mit Militärpersonal bekannt sind. Er äußerte die Hoffnung, dass die militärische Führung Konsequenzen aus der Tragödie ziehen wird. Seine beiden Posts zu dem Thema wurden rege geteilt, laut Zugriffszählung wurden sie je 2,5 bzw. 1,6 Millionen Mal angesehen.

Da die russischen Soldaten in der Silvesternacht möglicherweise ihre Smartphones für Video-Glückwünsche an ihre Familien nutzten, könnte es für die ukrainische Militäraufklärung aus technischer Sicht ein Leichtes gewesen sein, die ungewöhnliche Aktivität der russischen SIM-Karten zu orten. Ob die russischen Soldaten aber tatsächlich ihre privaten Mobilgeräte für Videotelefonie genutzt haben, muss noch geklärt werden. Eigentlich ist die Nutzung von Mobiltelefonen in der Nähe der Front untersagt.

Bezeichnend war ein Kurzinterview des Militärbloggers Boris Roschin (Telegram-Kanal Colonelcassad) mit dem Chef des Militärunternehmens Wagner Jewgeni Prigoschin:

"Frage: Als vorläufige Ursache für den Einschlag der Raketen in einer Berufsschule in Makejewka wurde das Billing von Mobiltelefonen genannt. Sollten dem Militär während eines Einsatzes die Kommunikationsmittel entzogen werden? Welche Regeln gelten für den Umgang mit Mobiltelefonen beim Militärunternehmen Wagner? (Insgesamt gab es vier Fragen – Anmerkung der Red.)

Antwort: Die Fragen sind alle sehr berechtigt. Aber leider kann ich Ihnen auf keine dieser Fragen eine öffentliche Antwort geben, denn meine öffentliche Antwort wäre ein Vorwand (für den Feind), erneut zuzuschlagen. Ich schlage vor, dass Sie in Ihrem Büro ein Plakat aus der Kriegszeit aufhängen, um zu verdeutlichen: 'Rede nicht.'"

Einige Militärexperten halten jedoch die Version, wonach die Ortung der Soldatenunterkunft ausschließlich ihrer Mobilfunkaktivität geschuldet sei, für wenig wahrscheinlich. Sie weisen darauf hin, dass die Ukraine seit je von den USA alle Satellitendaten und sonstigen technischen Möglichkeiten der modernen Aufklärung in Echtzeit bekommt. Das Schulgebäude könnte damit seit Langem als ein potenzielles Angriffsziel ins Visier genommen worden sein.

Außerdem könnten auch im Großraum Donezk viele geheime Richtschützen im Auftrag der Ukraine unterwegs sein. Diese Befürchtung ist durchaus begründet: Eine Einwohnerin von Donezk erzählte RT an einem beschossenen Ort, dass sie kurz vor einem Beschuss eine verdächtige Frau gesichtet habe. Auch der bekannte Militärkorrespondent Alexander Koz schreibt, dass es in einem Ort wie Makejewka unmöglich sein dürfte, die Stationierung von so viel Militärpersonal geheim zu halten. Er hält die Unterbringung der Soldaten im Gebäude einer Berufsschule für grob fahrlässig.

Roschin postete die im Internet aufgetauchten US-Satellitenbilder der Berufsschule vor und nach dem Beschuss. Damit deutete er an, dass dieser Standort schon vorher als Militärziel geortet worden sein könnte, und zwar mithilfe der USA.

Die mutmaßliche Rolle von USA und NATO bei der Vorbereitung des Angriffs beschäftigt auch die russische Politik. Der Senator im Föderationsrat Grigori Karasin forderte eine detaillierte Analyse des tragischen Ereignisses im Hinblick auf die Planung und Durchführung des Beschusses. Auf seinem Telegram-Kanal schrieb er:

"Die zynische Ermordung Dutzender russischer Soldaten in der Silvesternacht in Makejewka darf nicht vergessen werden! (...) Es ist an der Zeit, dass sich unsere Strukturen anstrengen, um namentlich herauszufinden, wer in Kiew, von den Befehlshabern bis zu den Vollstreckern, dafür verantwortlich ist."

Karasin ist der Meinung, dass der Angriff durch die NATO ermöglicht wurde. Es sei wichtig zu wissen, wer in der NATO diese Aktion geplant und koordiniert hat.

Generalleutnant Andrei Guruljow, Abgeordneter der Partei "Einiges Russland", ist der Ansicht, dass der Angriff der ukrainischen Streitkräfte auf Makejewka von Russland eine "angemessenste Reaktion" erfordert, und zwar die Fortsetzung systematischer Angriffe auf die militärische Infrastruktur der Ukraine. Er wies darauf hin, dass das russische Militär "diese HIMARS" weiterhin zerstöre.

Guruljow rief auch dazu auf, vorerst keine Schuldigen für die Geschehnisse öffentlich zu benennen. Damit deutete er zumindest an, dass diese Schuldigen existieren.

"Die Schuldigen werden bekannt gegeben, es wird eine Untersuchung durchgeführt, und es werden Schlussfolgerungen gezogen", verkündete er und fügte hinzu, dass es definitiv höchst unangebracht wäre, die Schuldigen unter den russischen und DVR-Beamten zum jetzigen Zeitpunkt zu benennen.

Der Militärblogger Roschin schließt die Diskussion zu diesem Thema mit seinem Kommentar auf die Äußerungen des Generals ab. Er fordert die Intensivierung der russischen Militärschläge aufs ukrainische Hinterland:

"General Guruljow wirft zu Recht diese Frage auf. Die beste Reaktion auf die Tragödie in Makejewka wäre nicht nur die Suche nach den Verantwortlichen, sondern vor allem ein wirksamer und systematischer Vergeltungsschlag. Ich hoffe, dass wir bald nicht nur offizielle Schlussfolgerungen zu Makejewka sehen werden, sondern auch neue wirksame Schläge gegen die militärisch-industrielle Infrastruktur des Feindes. Einen Krieg gewinnt man, indem man die Zerstörung des gegnerischen Militärpersonals und des gegnerischen Materials intensiviert."

War der Angriff auf Druschkowka schon die Vergeltung?

In der Nacht zum Dienstag hat Russland einen verheerenden Schlag  auf einen vorübergehenden Aufmarschpunkt der ukrainischen Streitkräfte im Ort Druschkowka unweit von Kramatorsk durchgeführt. Am Eisenbahnknotenpunkt wurden nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums zwei Abschussvorrichtungen von HIMARS-Mehrfachraketenwerfern aus US-Produktion, vier Kampffahrzeuge des Mehrfachraketenwerfersystems RM-70 "Vampire" und mehr als 800 Granaten für Mehrfachraketenwerfer sowie sechs Fahrzeuge zerstört.

Der Augenblick der gewaltigen Detonation an der Eisenbahnstation wurde von der laufenden Kamera eines französischen Drehteams festgehalten.

Auch ein Soldatenquartier in einem Eisstadion im selben Ort wurde bombardiert. Die Getöteten seien bis zu 120 ukrainische Militärangehörige. Dass der Raketenangriff tatsächlich sehr opferreich gewesen sein könnte, belegt ein Video aus der Eishalle nach der Feuerlöschung. Zu sehen sind Dutzende verbrannte Matratzen – ein recht grausiger Anblick.

Das Fehlen der Schlafsäcke könnte allerdings als Hinweis gewertet werden, dass die ukrainischen Soldaten zum Zeitpunkt des Beschusses an einem anderen Ort, und zwar in einem Hotel, untergebracht worden sein könnten, schreibt eine Vereinigung russischer Militärkorrespondenten. Der Hangar neben dem Hotel wurde auch beschossen und zerstört. Von diesem Ort gebe es keine Videos.

Ob dieser Angriff bereits der erste Vergeltungsschlag oder noch vorher geplant gewesen war, ist nicht klar. Der russische Kanal für Militär-Analysen Rybar lieferte eine hochauflösende Karte mit Geodaten der beschossenen Orte in Druschkowka mit dem Hinweis, dass derartige Angriffe keine außerordentlichen Vergeltungsschläge seien, sondern vielmehr die Routine eines Krieges:

"Die Beseitigung militärischer Ziele muss nicht als Reaktion auf etwas geschehen. Systematische Feuereinwirkung, die Ausschaltung von Flugabwehrstellungen und hochpräzise Schläge sind nur Elemente der Kampfführung."

Mehr zum Thema - "Neues Jahr, alte Gewohnheiten" – Donezk in Silvesternacht von 25 ukrainischen Raketen getroffen

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.