Gesellschaft

Demokratiestudie in Deutschland ergibt: Profiteure des Systems sind unkritisch und autoritätsgläubig

In wenigen, verborgenen Momenten kommt doch noch so etwas wie eine Wahrnehmung der wirklichen Welt durch – in der neuen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Demokratievertrauen der Deutschen. In großen Teilen muss man sie aber vom Kopf auf die Füße stellen.
Demokratiestudie in Deutschland ergibt: Profiteure des Systems sind unkritisch und autoritätsgläubig© Grafik FES

Eine Analyse von Dagmar Henn

Eine der auffälligsten Botschaften, die sich aus der neuen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zum Demokratievertrauen ergibt, ist, dass die SPD selbst inzwischen eine Partei der oberen Schichten geworden ist. Denn die repräsentative Umfrage ergab, dass die Angehörigen der oberen Mittel- und der Oberschicht mit der Demokratie in Deutschland zufrieden sind (64,4 Prozent), während unter Arbeitern nur noch ein Drittel zufrieden ist. Gleichzeitig sind nur 21 Prozent der Grünen-Wähler und 34 Prozent der SPD-Wähler unzufrieden, woraus sich logisch ergibt, dass sich unter den Wählern der SPD nicht mehr allzu viele Arbeiter oder sozial Benachteiligte finden können.

Auch wenn die FES rätselt, woher diese Unterschiede stammen – es gab bereits vor Jahren eine Studie, die für Deutschland das Ergebnis nachvollzog, das zuvor eine Studie aus Princeton für die USA ergeben hatte; dass nämlich die Interessen der obersten Bevölkerungsschicht gute Chancen haben, sich im politischen System durchzusetzen, die der unteren jedoch so gut wie keine (das Ergebnis in den USA war 95 Prozent zu 5 Prozent, das deutsche minimal besser).

Was Zukunftserwartungen angeht, sehen die Deutschen übrigens tiefschwarz – 48,9 Prozent gehen davon aus, dass es künftigen Generationen etwas, und 35,1 Prozent sogar, dass es ihnen wesentlich schlechter gehen wird als heute. Ganze 16 Prozent sehen eine Möglichkeit der Verbesserung.

Eine knappe Mehrheit ist davon überzeugt, dass sich der Zustand der Demokratie in den letzten Jahren verschlechtert habe (50,5 Prozent). 39,4 Prozent meinen, er sei gleich geblieben, und nur 10,1 Prozent sahen eine Verbesserung. 40 Prozent sind dabei der Meinung, es mache ohnehin keinen Unterschied, wer regiert. In der einschränkenden Formulierung "jenseits der politischen Ränder" meinen das sogar über 50 Prozent.

Einen interessanten Einblick in ihre eigenen Demokratievorstellungen gibt die Friedrich-Ebert-Stiftung an dieser Stelle: "Ein besorgniserregender Befund ergibt sich für Ostdeutschland, wo sich nicht einmal ein Siebtel der Befragten – gerade halb soviel wie im Westen – für die repräsentative Demokratie ausspricht. Der Anteil der Ostdeutschen, die die direkte Demokratie favorisieren, rückt mit 49,4 Prozent inzwischen nahe an die symbolisch bedeutsame absolute Mehrheit heran." Auch hier findet sich wieder nicht nur ein Unterschied zwischen Ost und West, sondern auch zwischen unten und oben. Warum diese Tatsache besorgniserregend sein soll, führt die FES leider nicht näher aus. In der Demokratietheorie ist die direkte Demokratie eigentlich die qualitativ hochwertigste Variante, gefolgt von einem Repräsentativsystem mit imperativem Mandat, und danach erst einer reinen repräsentativen Demokratie, in der die Abgeordneten nicht ihren Wählern, sondern nur ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich sind. Aber auch in der Gesamtheit der Befragten wäre das bevorzugte Regierungsmodell mit 41,1 Prozent die direkte Demokratie.

Die Korrelation zwischen gesellschaftlicher Position und politischer Zufriedenheit bestätigt sich auch an diesem Punkt besonders deutlich an der Position der Grünen-Wähler, die – ganz entgegen der ursprünglichen politischen Forderungen dieser Partei – inzwischen unter den Wählern der verschiedenen Parteien diejenigen stellen, die mit direkter Demokratie am Wenigsten anfangen können. Nur 22,6 Prozent sprachen sich dafür aus. In der ausgeprägten Neigung zur – nicht wirklich demokratischen – Expertenherrschaft (40,5 Prozent) machen ihnen allerdings die Wähler der FDP mit einer Zustimmung von 45,4 Prozent den Führungsplatz streitig.

Nach wie vor wird das Bundesverfassungsgericht als vertrauenswürdigste Institution gesehen (70,9 Prozent haben großes oder sehr großes Vertrauen), während die Bundesregierung sich mit 42,4 Prozent zufrieden geben muss, die EU-Kommission gar mit 31,5 Prozent. Den öffentlich-rechtlichen Medien vertrauen noch 41,8 Prozent, den Medien insgesamt 31,7 Prozent. Nach wie vor hoch ist das Vertrauen in "die Wissenschaft" mit 80,6 Prozent und in Universitäten und Forschungseinrichtungen mit 79,2 Prozent. In der Unterscheidung nach Parteipräferenz fallen vor allem die Grünen heraus, die sogar mit 58,5 Prozent der Europäischen Kommission vertrauen. Die Linke hat sich in dieser Skala inzwischen völlig den Mittelwerten angeglichen, heraus fällt einzig die AfD, deren Wähler noch das höchste Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht setzen (mit 24,9 Prozent), dem Bundestag (5 Prozent) und der EU-Kommission (6,1 Prozent) aber beinahe gar nicht vertrauen. In diesem Zusammenhang fällt auch der FES auf: Wer profitiert, vertraut.

Die Probleme, die am häufigsten benannt werden, sind: Zentrale Wahlversprechen werden nicht umgesetzt (81,7 Prozent), Ärmere beteiligen sich seltener an Wahlen als Reiche (77 Prozent) und die Abgeordneten spiegeln nicht die Zusammensetzung der Bevölkerung wider (74,9 Prozent).

Interessant ist das Ergebnis, dass selbst in der oberen Mittelschicht und darüber 49,9 Prozent einer staatlichen Regulierung von Bodenpreisen, Hauptpreistreiber auf dem Wohnungsmarkt, zustimmen. Unter den ärmeren Deutschen sind das 77,7 Prozent. Auch wenn die FES diesen Punkt abgefragt hat, gibt es bisher keine entsprechenden politischen Forderungen.

Es ist, das ist vielleicht die einzige und auch nicht wirklich überraschende Erkenntnis aus dem Kapitel "Verschwörungsdenken", abhängig vom vorhandenen Vertrauen in die Institutionen, ob jemand das offizielle Narrativ übernimmt oder nicht. Bei der Zusammenstellung dieser Daten, bei denen immer auch der Impfstatus abgefragt wurde, ergibt sich, dass die Abweichung zwischen Geimpften und Ungeimpften so groß ist, dass die Impfung tatsächlich als eine Art Gehorsamstest funktioniert hat. Ein Beispiel dafür ist die Reaktion auf die von der FES als Verschwörungstheorie bezeichnete These: "Die westliche Welt hat sich gegen Russland und Putin verschworen, um die eigene Macht auszubauen." 27,3 Prozent der Geimpften stimmen dem zu, aber 62,4 Prozent der Ungeimpften.

Wobei man an diesem Beispiel sehen kann, dass einzig die von der FES gewählte Formulierung es möglich macht, darin eine Verschwörungstheorie zu sehen. Schließlich ist die gesamte Entwicklung von entsprechenden Studien über NATO-Tagungen bis hin zu den heutigen Aussagen, in denen offen ausgesprochen wird, dass es um Macht und Einfluss des Westens geht, belegt. Wäre der Satz neutraler formuliert worden – der Westen geht gegen Putin und Russland vor, um die eigene Macht zu erhalten –, würde das aber schwer unter der Überschrift "Verschwörungsdenken" verarbeitet werden können. Auch die "Verschwörungsgläubigen" bevorzugen übrigens die direkte Demokratie.

Am Ende bleibt ein etwas schaler Geschmack übrig, der insbesondere durch die Demokratievorstellung der Studienautoren ausgelöst wird. In ihr zeigt sich der Umschlag von einem Begriff des kritischen Bürgers in einen Begriff des Autoritätsgläubigen Bürgers; denn die Eigenschaften, die inzwischen von der FES als bedrohlich gesehen werden, sind eigentlich Eigenschaften, die in einer Demokratie bei einem wachen Bürger vorausgesetzt werden sollten. Ein kritisches Verhältnis zu Institutionen, eine hohe Wertschätzung für qualitativ hochwertige Formen der Demokratie und eine wache Wahrnehmung, wessen Interessen in der politischen Praxis letztlich bedient werden. Bedrohlich sind eher jene Gruppen, die extrem autoritätshörig sind, gerne von Experten regiert werden und selbst mit vor Korruption triefenden Institutionen wie der EU-Kommission kein Problem haben. Die Krise, die die Studie feststellt, ist real. Nur sieht sie sie am falschen Ort.

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