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Trotz Massenprotesten: Frankreichs Regierung setzt umstrittene Rentenreform ohne Parlament durch

Trotz landesweiter Proteste haben die Abgeordneten des französischen Senats am Donnerstag die umstrittene Rentenreform von Präsident Macron verabschiedet. Statt die notwendige Zustimmung der Nationalversammlung einzuholen, wurde auf besondere verfassungsrechtliche Befugnisse zurückgegriffen.
Trotz Massenprotesten: Frankreichs Regierung setzt umstrittene Rentenreform ohne Parlament durchQuelle: AFP © Thomas SAMSON / AFP

Der französische Senat hat am Donnerstag das umstrittene Gesetz der Regierung zur Reform des Rentensystems verabschiedet, das unter anderem eine Anhebung des Rentenalters um zwei Jahre auf 64 Jahre vorsieht. Demnach stimmten 193 Senatoren für den Text, 114 votierten dagegen, 38 enthielten sich. Die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron angestrebte Rentenreform hätte am Nachmittag noch in der Nationalversammlung als zweiter Parlamentskammer zur Abstimmung gestellt werden müssen.

Während die Regierung sich nicht sicher sein konnte, dort eine Mehrheit für ihr wohl wichtigstes Vorhaben zu bekommen, hat sie dem vorgegriffen und das Parlament ausgehebelt und auf Artikel 49.3 zurückgegriffen, einen Sonderartikel der Verfassung, der es ihr ermöglicht, das Gesetz mit Gewalt durchzusetzen. Dieses Vorgehen ist für Macron nicht ungefährlich, da es ihn und seine Regierung dem Risiko eines Misstrauensvotums des Linksbündnisses Nupes und der Nationalen Sammlungsbewegung (RN) aussetzt.

Doch offenbar war es der Regierung das Risiko wert: Die für 15:20 Uhr angesetzte Debatte im Plenarsaal fiel aus, Premierministerin Élisabeth Borne übernahm die Verantwortung für die Regierung, und die Anwendung des Verfassungsartikels 49.3 wurde unter Buhrufen der Opposition durchgewunken. Damit könnte das Gesetz ohne parlamentarische Abstimmung durchgeprescht werden. Allerdings hat die Opposition 24 Stunden für einen Misstrauensantrag. Sie hat das Vorgehen Macrons als "brutal" kritisiert.

Am Mittwochabend hatte Macron bereits seine Premierministerin Élisabeth Borne sowie alle von der Reform betroffenen Minister empfangen. Der Élysée-Palast versicherte im Anschluss daran, dass "alle institutionellen Schemata möglich sind, mit dem Willen, das Land weiter voranzubringen". Mit der Reform will die Regierung gegen drohende Löcher in der Rentenkasse vorgehen. Das Renteneintrittsalter in Frankreich lag bisher bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt aber später: Wer für eine volle Rente nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag – dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Dauer der für einen vollen Rentenanspruch benötigten Beschäftigungszeit schneller steigen soll.

Gewerkschaften kritisieren die Reform dagegen als ungerecht. In Frankreich kommt es daher bereits seit Wochen zu zunehmend ausufernden Massenprotesten. Allein am Donnerstag sollen nach Angaben der Gewerkschaft CGT landesweit rund 1,7 Millionen Menschen zum Protest auf die Straßen gegangen sein. Zusätzliche Streiks sorgten für Chaos im Bahn- und Flugverkehr, Müllbergen auf den Straßen und ausgefallene Unterrichtsstunden. Der Chef von Frankreichs größter Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, der am Donnerstag an einer Kundgebung in Paris teilnahm, forderte die Abgeordneten erneut dazu auf, gegen das Gesetz zu stimmen, da es "von der konkreten Arbeitsrealität abgekoppelt" sei. Die Regierung "versucht, alle auszutricksen", bemängelte er. 

Auch die Müllmänner in Paris haben sich den Streiks gegen die geplante Rentenreform der Regierung von Emmanuel Macron angeschlossen. Rückendeckung erhalten sie dabei von der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Bis Donnerstag türmten sich in Paris rund 7.000 Tonnen Müll. Und ein Ende der Müllberge ist vorerst nicht in Sicht. So kündigten die Entsorgungsverbände bereits an, ihren Streik vorerst fortzusetzen zu wollen, sollte das Gesetz verabschiedet werden. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin will die Müllmänner daher nun zur Rückkehr an ihren Arbeitsplatz zwingen. In einem Schreiben an Hidalgo kündigte er an, dass er "angesichts der sanitären Bedingungen" beabsichtige, "die streikenden Mitarbeiter zu requirieren" und sie zu zwingen, wieder an die Arbeit zu gehen. Sollte Hidalgo nicht handeln, werde die Regierung "einschreiten", so der Minister.

Die stellvertretende Bürgermeisterin von Paris, Colombe Brossel, bezeichnete die Drohung des Ministers indes als "neuen Beweis für die Verachtung der Regierung" für den Dissens in der Bevölkerung. Dieser greife damit in das verfassungsmäßige Streikrecht der Arbeitnehmer ein, erklärte Brossel gegenüber Reportern. Die Aufforderung des Ministers zeige "einmal mehr, dass diese Regierung nicht in der Lage ist, einen Dialog zu führen und ihrer Verantwortung angesichts einer ungerechten Reform gerecht zu werden".

Das Thema hat sich in den letzten Tagen zu einem erbitterten politischen Kampf entwickelt. Während diverse Regierungsminister Hidalgo für die Situation verantwortlich machen und sie aufforderten, Maßnahmen zu ergreifen, beharrt die Politikerin hingegen darauf, dass der "Müllkrieg" erst beendet werde, wenn Macrons Regierung ihre Rentenreform zurückziehe. "Diese soziale Bewegung hat meine totale und vollständige Unterstützung", versicherte Hidalgo. An die Regierung gewandt fügte sie hinzu:

"Ich sage der Regierung: Diskutieren Sie erst einmal untereinander und versuchen Sie zu verstehen, was diese Leute versuchen, Ihnen mitzuteilen. Und wir sprechen dann danach."

Der Generalsekretär des größten Gewerkschaftsbunds Frankreichs, Laurent Berger, hat bereits weitere Proteste angekündigt.

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