Meinungsfreiheit, Pressefreiheit? In der EU nicht für oppositionelle Ukrainer
Von Alexej Danckwardt
Während russische Ermittler verkünden, dass sie Beweise für die Verstrickung der Ukraine in den Terroranschlag auf die Moskauer "Crocus City Hall" gewonnen haben, ist in deutschen Mainstreammedien am Donnerstagabend etwas anderes Aufmacher und Thema Nummer eins. "Tschechien meldet Erfolg gegen russische Propaganda" und "Pro-russische Propaganda quer durch Europa" titelt etwa die ARD-Tagesschau auf ihrer Homepage. Die eigentliche Nachricht des Tages ist ihr zu diesem Zeitpunkt jedenfalls keine Erwähnung wert.
Wer sich in die beiden Meldungen einliest und sich zwischen all den russophoben Propagandafloskeln durchlavieren konnte, versteht schnell, dass es um eine relativ unbedeutende Internetseite namens "Voice of Europe" geht, die von ukrainischen Oppositionellen von der tschechischen Hauptstadt Prag aus betrieben und offenbar von Wiktor Medwedtschuk, einem der derzeit im russischen Exil lebenden Anführer der ukrainischen nichtnationalistischen Opposition, finanziert wurde. Medwedtschuks Partei holte bei den letzten ukrainischen Parlamentswahlen offiziellen Angaben zufolge 13,05 Prozent und belegte damit Platz zwei hinter Selenskijs polittechnologischem Projekt "Diener des Volkes". Mit großem Abstand allerdings, Polittechnologie funktioniert gut in der Postmaidan-Ukraine. Der größte Teil von Selenskijs Wählern wählte ihn und seine Partei in der Hoffnung auf Frieden, Versöhnung mit Russland und den Schutz der Rechte der Russischsprachigen. Sie bekamen das genaue Gegenteil.
Es zieht sich wie ein roter Faden durch die europäische Politik und die Meinungsmache in den Mainstreammedien, dass Ukrainern nur dann das Recht auf Mitsprache, ihre Meinung und Rede- sowie Pressefreiheit zugestanden wird, wenn sie "proeuropäisch" sind. Den Gegnern des Maidan, im Jahr 2014 noch 30 bis 40 Prozent der Ukrainer mindestens, wurde schon im Herbst 2013 das Wort entzogen. Einer nach dem anderen wurden sie in sozialen Netzwerken, auf YouTube und auf anderen Plattformen gesperrt, blockiert, gelöscht. In der medialen Berichterstattung kamen sie so gut wie gar nicht vor und wenn, dann immer mit "bösen" Labels wie "prorussisch" oder "Separatisten". Das Schicksal, aus dem öffentlichen Diskurs "gecancelt" zu werden, erwischte Prominente wie den erfolgreichsten Regierungschef der Ukraine, Nikolai Asarow, die streitbare Anwältin Tatjana Montjan, den Blogger Anatoli Scharij und viele andere. Da nutzte auch das Interesse eines großen Publikums, das bei den Gesperrten und Gelöschten in die Millionen reichte, nichts.
Der Hauptvorwurf an die Betreiber von "Voice of Europe": Sie wollten Einfluss auf die europäische Politik nehmen. Hmm, ja. Und?
Seit es Menschen gibt, versuchen sie aufeinander Einfluss zu nehmen. Deshalb entstanden Sprachen. Erst Lautsprachen, dann Schriftsprachen. Damit Menschen leichter Einfluss aufeinander nehmen können, wurden Buchdruck, Presse, Radio, Fernsehen, das Internet und Messengerdienste erfunden. Es ist das natürlichste Bedürfnis überhaupt: aufeinander Einfluss zu nehmen. Und damit die Welt, lokal und global, funktioniert, muss jeder das Recht haben, an den Kommunikationsprozessen teilzunehmen. Das bedeutet noch lange nicht, dass die Einflussnahme zum gewünschten Verhalten führt, doch das Recht, es zu versuchen, hat von Natur aus jeder. Jeder Mensch und jeder Staat. Meinungs-, Presse-, Informationsfreiheit sind die verbrieften Anerkenntnisse dieses Rechts. Sie sind die Gewähr dafür, dass die Gesellschaft und die Menschheit als Ganzes richtige und ausgewogene Entscheidungen treffen, mit denen alle leben können. Die Alternative zu der permanenten gegenseitigen Einflussnahme ist der Krieg aller gegen alle und jedes gegen jeden.
Ein Beispiel: Hätte der Westen und speziell Deutschland auf unsere – der "prorussischen" Deutschen, der oppositionellen Ukrainer und der "russischen Propaganda" – Warnungen gehört, dass in der Ukraine seit dem Sieg des Euromaidan etwas gewaltig schiefläuft, dass die Maidan-Ukraine im Donbass Verbrechen begeht, wäre vielleicht ein Dialog entstanden, der zu einem angemessenen Druck auf Kiew und zur Änderung seiner Politik geführt hätte. Dann hätte Russland auch nicht nach acht Jahren erfolgloser Versuche, Einfluss zu nehmen, militärisch intervenieren müssen. Es hätte keinen Krieg gegeben.
Was bedeutet es, wenn das elementare Recht, auf Europa (oder sonst wen) durch die freie Rede und die Verbreitung der eigenen Sichtweise Einfluss zu nehmen, Russland, Russen und oppositionellen Ukrainern abgesprochen wird? Zum einen ist es Rassismus: Die einen sind weniger wert als alle anderen, auch das beinhaltet diese Sichtweise. Zum anderen ist es die pure Angst vor der Wahrheit und dem besseren Argument. Wenn sich die europäischen Machthaber sicher wären, auf der Seite von Wahrheit und Recht zu stehen, bräuchten sie Verbote und Diffamierungskampagnen nicht. Was würde eine kleine Internetseite ausrichten können, wenn der Wahrheit doch europaweit Tausende Zeitungen, Radio- und TV-Sender sowie Onlinemedien zur Verfügung stehen? Angesichts dieser medialen Übermacht bräuchte die Wahrheit die Lüge doch nicht zu fürchten, sie müsste sich nur die geringe Mühe machen, gute Argumente vorzubringen.
Und dennoch haben sie panische Angst vor der "russischen Propaganda". Die Herrschenden in Europa wissen bestens, dass sie in der Ukraine-Krise der Bösewicht, der Aggressor, der Räuber und der Kriegshetzer sind. Sie fürchten die Wahrheit. Nur so lässt sich erklären, warum sie jedes noch so kleine, jedes noch so unbedeutende Instrument bekämpfen, mit dem sich der Standpunkt der Andersdenkenden – der oppositionellen Ukrainer, der Russen – Gehör zu verschaffen versucht. Jede kleine Portion Wahrheit ist in der Lage, die Lüge zu zerstören, denn sie hat immer das bessere Argument und die Aussicht, sich gegen die scheinbar übermächtige Lüge durchzusetzen.
Nicht vor "Desinformation" und "Propaganda" wollen die europäischen Eliten uns "schützen", sie wollen ein Propagandamonopol errichten und aufrechterhalten, um die Lüge auf ewig herrschen zu lassen. Darum die Verbote, die Sanktionen, Blockaden, Sperren und Abschaltungen. Darum die Diskreditierungskampagnen gegen jeden Abweichler und jeden Andersdenkenden.
Übrigens zeugt es vom "seriösen Journalismus" der Tagesschau, Medwedtschuk gleich zum "Fürst der Finsternis" zu erklären. Die kritiklose Übernahme der ukrainischen Narrative, die Diskreditierung eines nicht verurteilten Mannes, der seit vielen Jahren kein Amt mehr innehatte und zuletzt nur Rada-Abgeordneter war, als "Hochverräter", das Anhängen des Labels "Oligarch", als wäre Poroschenko keiner gewesen und als würden hinter Selenskij keine Oligarchen stehen, haben wohl nicht gereicht, um durch ihn finanzierte Medien als Informationsquelle zu vergiften. In einem Qualitätsartikel dieses Qualitätsmediums, ein Musterbeispiel für neutralen, unparteiischen und objektiven Journalismus, steht wortwörtlich:
"Bekannt ist er auch als 'Fürst der Finsternis'."
Wem bekannt? Frau Marianne Allweiss, ARD-Studio Prag, persönlich? Nun vielleicht haben Tagesschau-Autoren ja tatsächlich schon jetzt freien Zutritt zur Hölle. Zur Eingewöhnung.
All das, werter Leser, ist das Problem nicht nur der Russen und der oppositionellen Ukrainer, denen die "europäische Demokratie" das Recht, mit kommunikativen Mitteln Einfluss zu nehmen, versagt. Es ist das Problem auch der einfachen Europäer. Wenn Informationsquellen ausgelöscht werden, fehlen sie nicht nur dem, der sich über sie äußern wollte. Sie fehlen auch jedem, der sich aus ihnen hätte informieren können. Jedes verbotene und zum Schweigen gebrachte Medium ist nicht nur ein Angriff auf die Presse-, Meinungs- und Redefreiheit, sie ist auch und vor allem ein Angriff auf die Informationsfreiheit jedes Bürgers.
Das zeigt, dass sich Europas Eliten von der Konzeption des "mündigen Bürgers" endgültig verabschiedet haben. Der mündige Bürger, hieß es vor nicht allzu langer Zeit noch, solle freien Zugang zu möglichst vielen Informationen, Sichtweisen und Meinungen aus Quellen, die er selbst auswählen darf, haben. Er werde dann selbst die Wahrheit von der Lüge unterscheiden und sich eine qualifizierte Meinung bilden können, die Grundlage seines politischen Handelns sein wird.
Warum ist es nun anders? Haben die "Eliten" herausgefunden, dass der Bürger nicht intelligent genug ist, dass man ihn doch lieber bevormunden und vor "schädlichen Einflüssen" schützen soll? Ist das gesprochene und geschriebene Wort tatsächlich so gefährlich, dass man Erwachsene davor "schützen" muss, wie Kleinkinder vor der Steckdose?
Ja, es ist gefährlich, aber nur für die europäischen "Eliten", die sich hinter Lügenkonstrukten verbarrikadiert haben, die das erste laue Lüftchen an Wahrheit zum Einsturz bringen könnte. Daher die panische Angst. Die Machthaber in Berlin, Brüssel, Paris und Prag wissen bestens, dass ihre Bürger mündig genug sind, die Wahrheit als Wahrheit zu erkennen, wenn sie sie erst erfahren. Und klug genug, dann die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das wäre das Ende dieser verfaulten Eliten. Und darum versuchen diese verfaulten Eliten, die Bürger Europas eben möglichst wasser- und lichtdicht von der "russischen Einflussnahme" abzuschotten, unter einer Kuppel aus Hass stiftender Propaganda, Bevormundung und einem unantastbaren Medienmonopol.
Wer denkt, dass diese totale Bevormundung zum Wohle des entmündigten Europäers geschieht, soll sich dem gern weiter fügen.
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